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Samstag,11.02.: Es ist 20:32, der Tag war anspruchsvoll und wieder einmal bin ich total fertig. Kurzes Update der Umstände: Ich schlafe mittelmäßig,besser als die ersten Nächte, das Bett ist ziemlich doof; seit gestern Abend bekomme ich kein Mobilfunk-Netz; die Mückenstiche gehen in ihrem Auswuchs, jedoch nicht in ihrer Anzahl zurück; das Wetter hat uns heute temperaturmäßig aus den Latschen gehauen, Sonne satt bei 30 Grad; in Deutschland hielt ein Schnupfen meine Nase rot, hier ist es die Sonne; wir haben einen dritten Raumgenossen, Vincent aus Simbabwe; ich habe für meinen Aufenthalt in Kapstadt bei einem Backpacker, nur einige hundert Meter von Stränden entfernt und in Sichtweite zum Tafelberg, gebucht; ich fange an, auf englisch zu denken; mein Weltreisestecker ist mit den Steckdosen nicht kompatibel; heute sah ich die Ärmsten der Armen im schlechtesten Viertel Sowetos und sprach mit einigen von ihnen.
Weckerklingeln um 7, Frühstück an der Tankstelle, übliche Morgen-Prozedur. Um 10 Uhr war es dann soweit. Timbou, der uns empfohlene und bestellte Tour-Guide für Soweto, erschien und fuhr mit uns in seinem Auto durch Johannesburg, über die Nelson Mandela Bridge, nach Soweto. Ein Weg von nicht weniger als 30-40 Minuten in das (an Kontroversität kaum zu überbietende) Randgebiet von Johannesburg. Wir erfuhren, dass Soweto in den letzten fünf Jahren ein Populationswachstum von zwei Millionen und somit eine Steigerung von 100% hinter sich gebracht hat. Soweto besteht aus sehr vielen einzelnen Teilen, welche untereinander sehr große Differenzen vorzuweisen haben. So leben nicht nur die Armen und Gestraften dort, sondern auch mitunter die Reichsten Johannesburger. Neben Slums und Gegenden, die sogar die Polizei meidet, findet man hier die modernsten Einkaufszentren und vom Staat subventionierte Elite-Schulen. Der erste Eindruck beim Einfahren in Soweto war gar nicht so übel, wie es alles klingt. Es mag den Anschein haben, dass es eine Art Randgebiet ist, durch Zäune von der Außenwelt getrennt, man befährt die Straßen und findet sich in einer Art Flüchtlingscamp wieder. Doch so ist es nicht. Besonders für die WM 2010, aber auch schon lange zuvor, begann die Regierung, den Menschen die Hilfe zukommen zu lassen, die sie nicht unbedingt im Sinne von zum Beispiel harter Arbeit verdient haben, sondern einfache Hilfe, die ihr Leben dem eines Menschen angleicht. Aus diesem Grund wurden viele Straßen ausgebessert, Gebäude renoviert, ein wenig Infrastruktur in Form einer eigenen Buslinie und modernisierten Ampeln oder Straßenbeleuchtungen geschaffen. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille, denn wie jedes vermeintlich 'gute' Projekt, half auch dieses größtenteils nur den Reichen, reicher zu werden und führte die Armen noch tiefer in die Armut. Die Schere klafft so weit auseinander, dass die Bewohner der armen Viertel Sowetos die Initiative ergreifen. Dazu später.
Erster Halt war das Hector Pieterson Memorial mit dem dazugehörigen Museum. Sollte euch der Name nichts sagen, solltet ihr es schleunigst googlen. Dieser Name ist DER Inbegriff des Soweto Uprising im Jahre 1976. Zu dieser Zeit existierte in Südafrika die Apartheid und eigentlich würde ich wirklich gerne einiges mehr dazu schreiben,doch ist es eindeutig zu viel,um nichts wichtiges auszulassen. Pieterson wurde im Alter von 13 Jahren bei einem friedlichen Protestmarsch von einem Polizisten erschossen, was starke Krawalle und einen historischen Wendepunkt mit sich brachte. Was ich nicht verstehe ist, warum man über solche historischen Ereignisse nicht in der Schule unterrichtet wird. Anstatt das stinkende Mittelalter, die grausame NS-Zeit oder das affige DDR-Regime jeweils mindestens 2 mal im Unterricht zu behandeln, sollte man lieber auf Weltgeschichte umsteigen. Was soll's,ich bin in Südafrika und schon lange raus aus der Schule.
Zu Fuß ging es zum Mandela House, in dem einst Nelson Mandela vor und nach seiner 27-jährigen Gefangenschaft lebte. Was für ein Zufall, das er auf den Tag genau vor 22 Jahren aus Robben Island freigelassen wurde. Hier in 8115 Vilakazi Street Orlando West Soweto trifft man viele Touristen aus aller Welt, die meisten jedoch Europäer. Nach der Besichtigung der Räumlichkeiten ging es durch einige Straßen, die recht gut erhalten sind, zurück zum Auto, vorbei an Straßenständen, an denen mehr oder minder handgefertigte Waren an Touristen verkauft werden. Der nächste Halt war etwas weiter entfernt, wir fuhren quer durch die verschiedensten Gegenden, mal bunt und dicht bewohnt, mal grau, zerfallen und spärlich besiedelt. Während der Fahrt sah man Menschen, die es zur Kirche zog, Kinder, die am Straßenrand spielten und immer wieder gute Straßenzustände mit modernisierter Technik, nebst zerfallenden Häusern. Dann kamen wir im Slum an. Wow! Es ist ein kleines Slum,mag man denken, doch täuscht der erste Eindruck. Wobei der Eindruck nicht nur war, dass es sehr klein scheint, sondern auch, dass lediglich die Behausungen die Armut repräsentieren. Timbou erklärte uns, dass er während der WM 2010 mit sehr vielen Touristen herkam, diese auch mit ins Zentrum des Slums gehen durften und sehr freundlich empfangen wurden. Wir blieben jedoch zunächst stehen und ließen die Atmosphäre auf uns wirken. Zur Linken stand ein einzelnes Haus, die Wände waren Wellbleche, gedämmt mit etwas Laminat, das Dach bestand aus mehreren Wellblechen, welche mit Steinen,Ästen und anderen beschwerenden Gegenständen versehen waren. Direkt an der Straßenmündung zum Slum standen fünf Dixitoiletten, die täglich von insgesamt 1500 (!) Menschen genutzt werden, keiner dieser Menschen besitzt ein Badezimmer daheim. Diese Toiletten wurden einst von Baustellen geklaut und sind nun seit einigen Jahren in Benutzung. Wir erfuhren, dass die Menschen keinen Strom haben, ebenso kein fließendes Wasser. Weil wir als Touristen etwas Aufsehen erregten, kam plötzlich ein etwa 30-jähriger, normal gekleideter Mann auf uns zu. Es stellte sich heraus, dass er nur Thom und mich gesehen hatte und uns raten wollte, nicht weiter ins Slum vorzustoßen, jedoch sah er dann auch Timbou, den er seit langem kennt. Der Unbekannte arbeitet im Auftrag der Regierung als eine Art Mittelsmann und korrespondiert für die Menschen im Viertel. Er selber stammt aus Soweto und habe sich durch großes Engagement einen guten Arbeitsplatz erkämpft, was ihn dazu brachte, die Masse der Armen zu mobilisieren und in den Köpfen einige Prinzipien zu festigen. So lautet eines der Mottos, und zwar dass nur mit harter Arbeit und wenigstens zwei Zielen für die nächsten fünf Jahre auch Fortschritte gemacht werden. Das Gespräch dauerte einige Minuten und wir scheinen Vertrauen geweckt zu haben, denn der Unbekannte führte uns an den ersten Häusern vorbei, aus Respekt vor den Bewohnern und ihrer Privatsphäre habe ich hier keine Bilder geschossen. Man sah es in den Augen der Leute, diese Verzweiflung, diese Fragen nach dem Warum, diese Hoffnungslosigkeit. Besonders die Ältesten wirkten resigniert, erschöpft, wie nach einem langen Kampf für einen gewissen Standard im Leben, den sie niemals erreichen werden. Ich bewundere die Fähigkeit einiger, die sich dem Kampf immer und immer wieder stellen, denn nicht alle scheinen den Tag über nur von besseren Zuständen zu träumen, sondern tun genau das, was die Welt heutzutage praktisch verlangt. Harte Arbeit. Eine ältere Frau saß am Weg, der an den endlos vielen Hütten vorbeiführte und höchstens zwei Meter breit war. Die Menschen wohnen Wand an Wand, haben selten Türen zu ihren Behausungen. Die Frau lächelte uns an oder zumindest versuchte sie es. In Afrikaans, einer der über zehn Amtssprachen redete sie drauf los. Afrikaans ist eine Art Abklatsch des holländischen, weshalb Thomas nahezu alles verstand. Für mich musste übersetzt werden und was ich gesagt bekam, klang zwar etwas einstudiert, aber doch sehr ergreifend (vielleicht lag es einfach daran, was und wie es übersetzt wurde). Tag für Tag gehen einige Familienmitglieder durch die umliegenden Gebiete in Soweto und beschaffen sich zum Einen Wasser (fragt mich nicht woher), Lebensmittel (auch hier weiß ich keine Antwort) und zum Anderen versucht man sich mit bereits gelesenen Zeitungen auf dem Laufenden zu halten, ein Teil der integrierten Gesellschaft zu werden, zu erfahren, was die Politik versucht, voranzutreiben und was die Welt bewegt. Jedem stehen nur wenige Liter am Tag zu, denn das Geld, das einige von ihnen verdienen, unter Anderem durch Verkauf handgefertiger Sachen mit den skurrilsten Werkzeugen, reicht nicht für mehr aus. An diesem Punkt war ich etwas verwundert, warum Geld verdient wird, auch wenn es wenig ist, man dann aber in einem Quartier wohnt, das keinen Strom bezieht. Als Schlusswort hieß es dann, dass man im Leben einfach nur lächeln müsse, um auch das tiefste Tal lebend zu verlassen. Ich war hin und weg!
Sehr beeindruckt und mit vielen Gedanken verließen wir Soweto, fuhren an Soccer City vorbei, wo das WM Stadion Johannesburgs steht und fuhren über die Autobahn zurück nach Randburg. Von so ziemlich jeder der Autobahnen, die ich bislang befahren habe, hat man entweder einen großartigen Ausblick auf die Skyline oder aber auf Berge und eine weitreichende Landschaft.
Zurück im Hostel, blieb noch der ganze Nachmittag zum Schlendern durch die umliegenden Straßen. Diesmal entschieden wir uns, der Straße in die andere Richtung zu folgen und freuten uns umso mehr, als wir realisierten, dass wir in einem sehr afrikanischen Teil der Stadt angelangt waren. Sehr viele Bars, die so groß waren, wie ein leergeräumter Edeka daheim, mit Billardtischen, Fußball auf den Bildschirmen und in etwa 300 Afrikanern, welche uns natürlich wieder begutachteten. Wir traten jedoch gar nicht erst ein, sondern führten den Spaziergang fort und aßen in einer Fish & Chips Bude, gingen anschließend auf einen hochgelegenen Parkplatz und hatten einen Ausblick auf die mitunter grünste Stadt, in der ich jemals war. Bäume, Parks, Pflanzen soweit das Auge reicht. Damit habe ich definitiv nicht gerechnet, eher hatte ich eine Großstadt im Sinn, die an Los Angeles erinnert, mit einigen Hochhäusern, vielen großen Straßen, schmutziger Luft. Ich wurde eines besseren belehrt und genoss die letzten Stunden in der untergehenden Sonne Südafrikas, bevor es morgen für mich nach Kapstadt gehen würde.
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