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Blog 5, 16.8. - 31.8.2014
Die laaange Schreibpause hat fast nur positive Gründe. Einzig negativ ist, dass das Schulleben z.Zt. unheimlich viel Zeit frisst. Im Vergleich zu Schulen in Deutschland ist das Team des Colegio sehr um uns bemüht. Das schlägt auch auf das Zeitpensum durch. Eine Einführungsveranstaltung jagt die nächste: Aufteilung des Schuljahrs, Leistungsbewertung, disziplinarische Maßnahmen, Klassenrat, Koordinationstreffen zu Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf etc. Alles ist hier etwas anders und muss uns Neuen daher unbedingt möglichst in den ersten Unterrichtswochen und möglichst auf Spanisch und Deutsch erklärt werden. Uns allen brummte regelmäßig der Schädel, aber ich weiß jetzt, wo ich Aspirin bekomme.
„Die Neuen" das sind 33 neue KollegInnen allein am Colegio La Herradura. An den beiden anderen Colegios Alemanes sind außerdem ca. 50 KollegInnen neu hinzugekommen. Kein Wunder, dass die Migrationsabteilung unserer Schulverwaltung Kopf steht. Trotzdem durfte ich bereits am 22.9. im Beisein der von der Schule gestellten Rechtsanwältin meine Fingerabdrücke bei der Migrationsbehörde hinterlegen. Trotz verfüge ich, zum Glück ganz im Gegenteil zu den Geschichten aus dem vergangenen Schuljahr, dass dieses Verfahren mindestens 6 Monate dauert, bereits seit dem 29.9. über meine tarjeta residencial, meine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Sie ist mein Ticket zur Einrichtung eines eigenen Bankkontos, zur Erfassung in der staatlichen Krankenversicherung, zur Ummeldung meines Autos, zu unbeschwerten Auslandsreisen, etc.
Und damit zu den positiven Gründen für meine Schreibpause. Da sind zunächst die SchülerInnen. Ich unterrichte Englisch in den beiden ersten Klassen (=> ~ 7. Klasse) der Secundaria (~ Sek. I) und Engl. u. Dt. in den beiden ersten Klassen (~ 10. Kl. (G8)) der Preparatoria (Sek.II). Besonders unter den OberstufenschülerInnen gibt es ein paar sehr Nette, die mir dann und wann Gebackenes mitbringen und mich fröhlich winkend quer über den Schulhof grüßen, besonders dann, wenn sie mich durch's Fenster im Lehrerzimmer am Computer sitzen sehen. Die ‚Kleinen' sind typische Mittelstufenschüler (die Mädchen sind noch nicht ganz so pubertär): ziemlich hormongesteuert und mit der Aufgabe 40 Stdn./Woche am Unterricht teilzunehmen völlig überfordert. Meine Klasse besteht zur Hälfte aus Bandmitgliedern und so singen wir 1x/Woche in unserer einzigen Nachmittagsstunde.
Des Weiteren sind da die KollegInnen. Im Vgl. zum Sauerland ist die Atmosphäre hier offen und interessiert und so war ich schon mehrfach mit ein paar Lieben abends auf Kneipentour im Bohèmeviertel. Außerdem gab's eine Citytour und ein paar Wanderausflüge. Die Levels sind bunt gemischt. Von der Grundschullehrerin über die Sonderpädagogin mit Holweide-Vergangenheit bis zur Ex-Harvard-Dozentin gibt es hier alles. Abgesehen von ein paar KollegInnen, die mit MexikanerInnen entweder verheiratet oder doch liiert sind, bin ich allerdings am weitesten in Sachen Integration. Nicht nur, weil ich die Sprache schon kann, sondern auch, weil ich schon eine Wohnung habe, in der ich vorerst bleiben möchte, weil ich ein Auto habe, den schwungvollen mexikanischen Fahrstil inzwischen zu schätzen weiß und mich dank google map und meiner Straßenkarte bisher nie völlig verfahren habe, weil ich über eine tarjeta residencial und ein Bankkonto verfüge, weil ich das mexikanische Essen so sehr mag, dass ich neugierig auf mehr bin und nicht zuletzt, weil mir meine lieben MitbewohnerInnen, wann immer sie können, sämtliche Fragen zum Alltag beantworten. Manche meiner KollegInnen hingegen residieren- oft allein - in klammen Kellerlöchern, überteuerten City-Flats oder zugigen Bergvillen ohne Heizung, sprechen kaum 10 Wörter Spanisch, warten noch auf ihre tarjeta residencial, haben entweder gar kein Auto oder - wie in einem Fall - einen zum Parallelogramm gerammten Unfallwagen ohne Fahrerlaubnis und vermissen deutsches Essen, vor allem das Brot. Im Lehrerzimmer bin ich eine gefragte Übersetzerin und natürlich nehme ich auch den Fachleiter-Kollegen aus dem feuchten Kellerapartment mit auf Stadtrundfahrt, damit der mal auf andere Gedanken kommt. Er hat sich hinterher für seinen schönsten Tag bisher bedankt.
Drittens und last not least ist da meine liebe WG. Sie erklären mir jeden Weg und manchmal setzen sie sich einfach zu mir ins Auto und führen mich zu meinem nächsten Ziel. Sie sind verlässliche Auskunftspartner zu Fragen wie: In welchem Viertel darf ich bis wann unterwegs sein? In welcher Lavanderia sollte ich meine Wäsche waschen lassen? Welches der 3 Kaufhäuser im Mall kannst du mir für Klamotten empfehlen? Wo finde ich Schreibwaren? Wie finde ich welchen Fernsehsender? Wo kann ich mein Auto waschen lassen? Etc. Außerdem ist nachmittags, wenn ich aus der Schule komme, meistens jemand da, mit 75%-er Wahrscheinlichkeit sogar ein€ (Ex-)LehrerIn, so dass man prima über die Schulerlebnisse des Vormittags plaudern kann.
Außerdem sind da noch die ganzen Mails von den Lieben daheim. Mit am beeindruckendsten war, dass mein Examensprof mir jetzt schriftlich bestätigt hat, dass ich das Zeug zur dr. phil. habe - zunächst im Konjunktiv und dann nochmal gaaanz deutlich im Indikativ. Die Endung meiner jüngst eingerichteten Schulmail ([email protected]) reanimiert offenbar schmeichelhafte Erwartungen.
Was in Europa passiert, erfahre ich hier nur dann, wenn ich deutsche Nachrichten oder CNN gucke. Die Mexikaner kennen die Deutschen i.d.R. nur als sehr disziplinierte und strategisch agierende Fußballweltmeister und als Hersteller bzw. Schirmherren der allseits präsenten Volkswagen. Dass Gorbatschow vor einem Blutvergießen europäischen Ausmaßes warnt, interessiert hier nur wenige. Auch, dass im 2. Weltkrieg deutsche Soldaten in Mexiko bemüht waren Erdöllieferungen an die USA zu unterbinden gehört glücklicherweise nicht zum Allgemeinwissen. Die Attraktion ist meine Körpergröße und meine Haarfarbe. Ein paar Mexikaner glauben jetzt, dass alle Deutschen so groß sind. Außerdem ist mein Nachname schwierig. Die Bankangestellte musste beim Einrichten meines Kontos erst mühsam davon überzeugt werden, dass erstens mein Nachname nicht „Deutsch" sondern „Dunschen" ist und dass zweitens in Deutschland niemand auf die Idee käme den Nachnamen des Vaters und der Mutter als Nachnamen zu führen. In mexikanischen Formularen gibt es für den Nachnamen der Mutter eine eigene Rubrik.
In der kommenden Woche wartet eine 4-tägige Fortbildung auf mich, weshalb Euch, liebe BlogleserInnen, leider eine weitere Schreibpause bevorsteht.
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