Profile
Blog
Photos
Videos
Sa 9.8.
Heute lasse ich es (noch) ruhiger angehen. Wichtigstes Projekt: Ich brauche endlich eine Handynummer. Tatsächlich gibt es die nicht nur im Centro Comercial von Interlomas (vgl. Di.), sondern auch ca. 20 Min. nach rechts hin die Straße entlang in einem etwa handtuchgroßen Vorposten der mobilen Telekommunikation. Der freundlich lächelnde Chicano hinter dem glasscheibengeschützen Schalter kennt zwar weder den bisherigen Chip noch das Modell meines Samsungs, lässt sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen und verspricht mir in ca. 6 Stunden das System auf das Mexikanische umzustellen und einen landesüblichen Chip einzusetzen. Mir wird erst, als ich schon wieder weg bin, klar, dass ich da gerade ohne irgendeinen Nachweis einem Wildfremden mein Smartphone überlassen habe; beschließe aber, einfach mal für 6 Stunden wenn nicht über's Wasser so doch über ein Bächlein zu gehen und darauf zu vertrauen, dass ich heut Abend nicht ohne „Flüstertüte" dastehen werde.
Auf dem Rückweg erkunde ich das örtliche Wäschereiwesen. Es gibt 2 Einrichtungen dieser Art in diesem Stadtteil, eine schmuddelige und eine in frischem hellgrün-weiß. Hinter dem Tresen der Letzteren erklärt mir ein weiteres Exemplar der vielen freundlichen und hilfsbereiten Menschen, die mir hier bereits begegnet sind, wie waschen in Mexiko geht. Man lasse die Wäsche - ruhig auch wild durcheinander - abwiegen. Für ca. 1,50€/kg wird sie dann sortiert, gewaschen und getrocknet. Wenn man will, kann man z.B. Blusen auch ab 1€/Stück bügeln lassen. Colorín, colorín, colorado, cuasi acabado (zu Dt.: fertig ist die Kiste). Der estilo mexicano wird mir immer sympathischer: putzen ist im Mietpreis inbegriffen und auch das Waschen wird einem zum Spottpreis abgenommen.
Bleibt noch zu erwähnen, dass der Handyman natürlich Wort gehalten hat. Ab 17:00Uhr habe ich eine Handynr., die Maria Eugenia und Giselle sich gleich notieren, weil sie schon mal gerne die Schlüssel vergessen.
Am Abend zeige ich den beiden erste Fotos aus Deutschland und sie werden bei der Gelegenheit ein paar Fragen zu Deutschland und den Deutschen los. Giselle zeigt sich erstaunt, dass nicht alle Deutschen zu Hitlers Zeiten Nazis waren (meine Urgroßmutter ganz bestimmt nicht) und dass nicht alle Deutschen im Luxus leben. Nebenbei erteilen Maria Eugenia und ich erstaunlich uni sono Giselle ein paar Lektionen in positive thinking.
So.10.8.
Heute geht es zum 2. Mal in die Stadt. Das mit dem Combi und der Metro kenne ich ja jetzt schon. Sonntags ist es nicht ganz so voll. Statt einem überlebensgroßen Christuskopfes an der Wand der Fahrerzelle begnügt sich mein heutiger Fahrer auf dem Hinweg mit einem Skapulier am Rückspiegel. Die meisten Läden an der Cuatro-Caminos-Station sind geschlossen.
Da das Wetter wieder einmal schön ist und da die Geschäfte ohnehin geschlossen sind, entscheide ich mich, ausgehend vom Auditorio für einen Bummel am zoologischen Garten vorbei durch den Bosque de Chapultepec. Den Zoo lasse ich nicht ganz unfreiwillig rechts liegen, weil der Eingang von Menschenmassen blockiert wird, da der Eintritt frei ist. Ein wenig weiter gibt's selbstgemachte Empanadas zu 15 Pesos am See. Am schönsten See des wichtigsten Parks der Hauptstadt gäbe es in DE wahrscheinlich mindestens ein Restaurant oder doch ein Cafe. Nicht so hier. Hier wimmelt es von zig kleinen Ständen. An den meisten wird entweder Plastikspielzeug oder Chips, etc. verkauft. Weit und breit kein frozen Cappuccino. Der wäre jetzt perfekt. Stattdessen gibt es eine Flasche Zitronenlimonade ohne Kohlensäure und mit Süßstoff. Überall sieht man Familien und quietschverliebte Paare. Alle genießen, oft bei einem Picknick, den freien Tag bei Sonnenschein im Grünen. In der Abteilung Botanischer Garten beeindrucken etliche tropische Baumriesen und als ich auch diese hinter mir lasse, wird es etwas leerer. Ich wandle ein paar Stunden durch verhältnismäßig menschenleere Wälder. Nur ein paar über mir dahindonnernde Jets und die ziemlich offensiv bettelnden Eichhörnchen unterbrechen meine erholsame Einsamkeit in der Natur. Sorry, ihr Süßen, aber ich wusste nicht, dass ihr eins mit malayischen Wildschweinen gemeinsam habt: man muss euch Erdnüsse mitbringen. Eine Hängematte wäre jetzt toll, die man einfach zwischen zwei dieser Riesenbäume spannen könnte um endlich Körper und Seele baumeln zu lassen.
Auf dem Rückweg komme ich durch ein begehbares Denkmal für gefallene Militärs. Die zwischen von Gittern überbrückten Wasserflächen zerstreuten, verrostenden Eisenwände, ähnlich jenen vor der Bielefelder Kunsthalle, werden hier und da von Dichterzitaten geschmückt. Eins von Gabriel García Marquez lässt mich nicht los: La vida no es lo que uno vivía, sino lo que uno recuerda y cómo la recuerda para contarla. ( Das Leben ist nicht das, was man gelebt hat, sondern das, an was man sich erinnert und wie man sich daran erinnert um es zu erzählen.) Pues, ponte a contar, caríssima. Auch eine Art über das Wasser zu laufen.
Zurück am Auditorio genehmige ich mir meinen ersten Straßentaco mit Speckschwarte und einer ziemlich scharfen grünen Sauce. Die Mexikaner am Stand zeigen mir amüsiert wie man so etwas isst. Mir kommen die Tränen. Das dte. „pikant" ist mit einiger Wahrscheinlichkeit mit dem mexikanischen „picar" - vor Schärfe im Mund stechen - verwandt. „Cuidado, pica." - „Sí, pica mucho.".
Da der Sonnenuntergang, nach dessen Ende Streifzüge durch die Stadt weniger empfehlenswert sind, noch ein paar Stunden entfernt ist, fahre ich mit der Metro zum Zócalo. In der Kathedrale beginnt gerade eine Messe, als ich eintrete. Fehlt nur noch der verzückt lächelnde Padre Jo aus dem Morraira meiner Kindheit, alles andere läuft äußerst ähnlich ab. Inklusive freihändiger, äußerst emotionaler Predigt mit persönlicher Ansprache. Regression pur. Natürlich handelt heute das Evangelium von der Angst des Petrus das Wasser zu betreten. Anders als im Spanien meiner Kindheit gibt es allerdings einen vom Pastor persönlich erteilten Sprenkler voller Weihwasser auf die Hände. Que cosa más rara.
Der Templo Mayor nebenan hat leider schon geschlossen und so mache ich mich nach einem kurzen Bummel durch das Viertel neben dem Staatspalast auf den Rückweg zum Bosque de Minas. Der Combi-Fahrer, der erste, dessen Arbeitsplatz nicht Heiligenbildchen schmücken, sondern ein Donald Duck, fragt ganz besorgt, ob ich mich auch nicht verlaufen habe. Gestalten wie mich, die ihn dann auch noch auf Spanisch anquatschen, fährt er wohl nicht oft. Auch 2 Mädchen auf den Sitzen neben mir finden diesen Match aus Look und spanischem Akzent ziemlich bekichernswert. Natürlich weiß ich, wo ich aussteigen muss und wann. Ich kenne doch meinen Barrio. Auch wenn dieser Fahrer mir das kaum glauben mag.
Als ich nach Hause komme, backt Maria Eugenia einen Marmorkuchen: Die „chicos" kommen. Ich beschließe sie, auch weil sie Merkel mag, „Mutti" zu nennen. Ihr gefällt das.
Am Abend gegen 22:00Uhr kommen dann tatsächlich die 2 bisher noch fehlenden Mitbewohner Eduardo und Horacio aus den Ferien zurück. Horacio hat ein 3-wöchiges Campamento in Madrid und Toledo hinter sich. Aber morgen geht es für die mexikanischen Kollegen wieder an die Arbeit. Beide arbeiten am Colegio Irlandés. Eduardo ist Disziplinbeauftragter und Horacio der Fachleiter für Sport. So sieht er auch aus. Nice muscles. Allerdings rattert er zunächst so schnell, dass ich noch nicht einmal seinen Namen auf Anhieb verstehe. Jetzt verstehe ich auch, warum das Colegio Irlandés so heißt. Das hat nichts mit den kulturellen Bestrebungen der irischen Regierung zu tun. Das wäre bei der Finanzlage der Iren auch ein Wunder gewesen. Nein, der Name geht eher auf Father Kelly zurück, die One-Man-Show der Legionäre (oder auch Millionäre) Christi. Auf den Pädophilie-Skandal dieser Ordensgemeinschaft kommen meine neuen Mitbewohner ohne Umschweife zu sprechen. Sie scheinen den desillusionierenden Blick hinter die Kulissen ebenfalls hinter sich zu haben, wollen aber vorerst ihren Job behalten. Don't I know that f***g. dilemma? Nice guys though. Beide bieten mir sofort ihre Hilfe an, sollte ich die brauchen.
Mo 11.8.
Ma's Geburtstag. Das Telefon klingelt, als gerade mein Nopal-Sellerie-Smoothie zum Frühstück durch den Mixer läuft. Ganz leise höre ich am anderen Ende tatsächlich Bielefeld-Sennestadt. Es funktioniert also. Natürlich trüben die 3 Tage bis zur Beerdigung ihres Bruders das Ganze.
Ich frühstücke mit einem Horacio in Anzug und Krawatte. So unterrichtet man bei den Iren. Heute ist ja sein erster Schultag. Inzwischen ist sein Spanisch so langsam, dass ich eine Chance habe. Gar nicht uninteressant, wie ein Mexikaner Spanien sieht. Anschließend bietet er mir an, mich zum Colegio Alemán mitzunehmen, wo mich heute Antje erwartet, um mir die Schule zu zeigen und um die Formalitäten für meine heiß ersehnte Tarjeta Residencial zu erledigen. Da mal wieder die Sonne scheint, schlage ich allerdings sein Angebot aus (als Sportler versteht er immerhin, warum ich caminar also die Version per pedes für gesünder halte) und laufe.
Als sich das Tor zu meiner zukünftigen Wirkungsstätte öffnet, tritt mir zunächst ein schwarz gekleideter, bewaffneter Wachmann entgegen, dessen Gesicht bis zur Nase verschleiert ist. Er meldet mich per Funk an der Rezeption an und zeigt mir den Weg dorthin. Als ich das Schulgebäude betrete, kommt mir Antje schon entgegen. Was sie mir dann von ca. 9:30 - 11:30Uhr zeigt, habe ich so in Deutschland noch nicht gesehen: ein modernes, frisch gestrichenes Schulgebäude umgeben von ansprechenden Grünanlagen mit Sportplätzen. Natürlich gibt es eine Bibliothek, einen Laden für Bürobedarf und Schulbücher, eine Cafeteria und fest installierte Beamer und Lautsprecher in fast jedem Klassenzimmer. Wie wir uns das in Bestwig erträumt haben, kommen hier die SchülerInnen zu den Lehrkräften in den je nach Fach ausgestatteten Unterrichtsraum. Pro Monat darf ich 1000 Kopien verfeuern. Zum LehrerInnenzimmer gehört eine Terrasse mit Tischen und Stühlen im Grünen. Ich werde eine der 6 Klassen der 7. Jahrgangsstufe leiten.
„Für Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an einen unserer stets freundlichen Mitarbeiter." - „Bienvenido" - „Gut, dass du da bist." - „Encantada" - Ja, ja, das bin ich auch.
Als Antje und ich in ihrem Büro den Papierkram erledigen, kommt Wolfgang, ein ebenfalls neuer Kollege, herein. Er hatte bei der Wohnungssuche nicht so viel Glück. Bei ihm regnet's durch - mitten in der Regenzeit eher unangenehm. Außerdem ruft noch aus DE der Direktor an, dessen Büro gerade renoviert wird. Die einheimischen Mitarbeiter sind schon mitten im Stress. Für mich wird es am 18. losgehen. Aurelia wird mir den Veranstaltungsplan für die kommende Woche schicken. Zu meiner Beruhigung stellt Antje klar, dass ich hier nicht wie meine Kollegen vom Irlandés im Kostümchen unterrichten muss. Markenjeans, Turnschuhe und Bluse sind für den Alltag ok. Nur zu Anlässen wie dem für Freitag angesetzten Frühstück für die KollegInnen aller dt. Schulen in Mexico City soll ich etwas upgestylter erscheinen. Das lässt sich machen.
Am Nachmittag teste ich die Wäscherei. Meine Kleidungsstücke werden wie erwartet freudig entgegengenommen und werden morgen gegen 17:00Uhr fertig sein. Nachdem ich schon mein Smartphone unversehrt zurückerhalten habe, ist dieses Mal mein Gefühl nicht ganz so mulmig.
Nach einem Abstecher nach Schlaraffien komme ich kurz vor den ersten Regentropfen heim. Maria Eugenias Tochter und ihre Kinder sind zum Mittagessen gekommen. Ganz die Mutter sehr nett. Sie hat zufällig ein Haus zu vermieten und will mir die Daten mailen.
Und dann: Regen? - Zeit zum bloggen
- comments


