Profile
Blog
Photos
Videos
Mama, Papa,
ich wohne nun schon fast 4 Monate in diesem fremden Land. Es ist kalt, sehr oft. Nur selten kommt mal ein wenig Sonne oder sowas ähnliches hier unten an. Es will nicht wärmer werden, wahrscheinlich wird es das hier auch nicht so schnell. Ansonsten gibt es auch nicht soviel tolles zu berichten. Mein Herz blutet, ab und zu mal stärker, mal weniger. Mal weniger, weil ich für Prüfungen lernen muss, für die ich Wissen auswendig lerne, was ich zu 95% nicht mehr brauchen werde nach diesem Studium. Aber manchmal möchte man sich einfach nur auf diesen verdammten Schmerz konzentrieren, der mich lahmlegt, wenn ich denn mal dazu komme.
Die Nächte werden nur schleichend wieder kürzer und jeden Abend bietet sich mir hier ein ganz besonderes Schauspiel, das, so habe ich das Gefühl, sich einem nur hier von dieser kleinen Kammer aus so toll beobachten lässt. Egal, ob es ein wolken-oder nebelverhangener Tag war oder nicht, ganz hinten am Horizont, in der Nähe der nächsten Kuppe, ist die Sonne immer für einige Minuten am Tag zu sehen. Und das nicht gerade unimposant. Egal wie dunkel der Tag war, dort hinten kommt sie heraus, und präsentiert jeden Abend aufs Neue ihre einzigartige glücklich- und zufriedenstimmende Aura. Wenn ich da abends für eine halbe bis dreiviertel Stunde am Fenster stehe, ist alles in Ordung, nichts ist mehr wichtig außer dieser wunderbaren purpurnen und strahlungsintensiven Kugel am Ende des Berges. Man kann in ihr versinken, so wie sie in uns, in den Wassern des Ozeans und der Masse des Berges, symbolisch versinkt.
Dann stehe ich da am Fenster, dieses wunderbar kostbare Exemplar von Kamera in der Hand, mache ein zwei Fotos. Später ist mir aufgefallen, wie wunderbar man den Untergangspunktverlauf der Sonne am Horizont damit beschreiben kann, aber schön sind sie trotzdem. Ich denke, das werde ich wohl am meisten an diesem kleinen Kabuff hier oben vermissen.
Der Schmerz der mir trotz der Schönheit, die ich jeden Tag schauen darf, von Zeit zu Zeit mitten durchs Herz schneidet, ist bald nicht mehr vertretbar, bald nicht mehr an der Grenze, des aushaltbaren, sondern darüber hinausgeschossen. Und dabei kommt es mir so vor, als wäre das Herz überall in meiner Brust, im gesamten Brustkorbbereich tut es weh, zieht es ganz scheußlich. Auch in den Armen und den Schultern. Es ist als ob das Herz gerade überall ist, oder als ob Gefühl in allen Organen und Körperteilen steckt. Und die Fähigkeit zu leiden. Die man auskosten sollte in solch einem Moment, wozu ich aber keine Zeit hatte. Ich hätte mich am liebsten für ein paar Wochen irgendwo vergraben. Nicht unter Leuten sein wollte ich. Nichts denken müssen und weinen. Nichts sehen. Nichts atmen. Wenigstens für ein paar Wochen.
Ich musste mich konzentrieren auf Klausuren, Prüfungen, Dinge, Entscheidungen, die mein weiteres Leben und Studium nachhaltig würden beeinflussen. Ein schrecklicher Zustand für sowas. Hinzukommt, dass ich am liebsten losziehen würde, um mich hoffnungslos zu betrinken. Ich möchte taub und bewusstlos sein, alles in mir soll taub werden, so wie es bei mir zuerst die Lippen werden, wenn ich Wein trinke. Erst ein leichtes Kribbeln, Taubheit in den Lippen. Ein ganz außergewöhnliches Gefühl. Doch diese besondere Art der Gefühls- und Schmerzverarbeitung, kann ich mir zurzeit gar nicht gönnen, da durch die stetige Einnahme von Antibiotika alles vorzeitig in einem erheblichen Unwohlsein enden würde. Kein Kribbeln, nur Bauchkrämpfe, ein schreckliches Gefühl im ganzen Körper. Ich weiß, dass meine Lieblingsvariante der Verarbeitung nicht gerade Vorbild ist, und dass dies nicht unbedingt irgendwo heraus hilft. Vielleicht hab ich früher einfach zu oft die Erfahrung gemacht, das feuchtfröhliche Abende meist die einprägsamsten Lebensmomente zu Tage oder Nacht fördern können.
Ich weiß, ihr könnt mir von dort aus nur bedingt helfen. Und nicht nur geographisch waren wir in letzter Zeit getrennt, was die ganze Lage nicht unbedingt verbessert. Aber ich habe über die menschlichen Interaktionen nachgedacht und möchte euch nach eurer Meinung fragen. Ich hab mir überlegt, wenn zwei Menschen, die Entscheidung treffen zB. ein Haus zu bauen oder Kinder zu haben, dann lieben sie sich wahrscheinlich, oder nicht? [Wahrscheinlich sind alle Lieben zu unterschiedlichen Personen auch unterschiedlich.] Wenn diese zwei Menschen beschließen, die ebengenannten Beispiele zu tun, sind sie aber wahrscheinlich schon in einem fortgeschrittenen Alter. So Ende 20, Anfang 30 vielleicht. Dann sind sie nämlich in einem Lebensabschnitt, in dem das auch vorgesehen ist, was sie da tun wollen(Kinder kriegen, Häuser bauen - heiraten sei jetzt mal als nicht so wichtig anzusehen). Womöglich haben wir in unserem Leben aber bestimmt schon vorher einen Partner gehabt, den wir genauso doll lieben, wie den Partner zur Zeit des Entschlusses des Hausbaus/Kinderkriegen. Nur war es in dem damaligen Lebensabschnitt vielleicht in der allgemeinen oder der persönlichen Lebensplanung gar nicht vorgesehen schon sesshaft zu werden. Wir haben diese Person also nur verloren, weil das Zusammentreffen mit ihr, nicht mit der eigenen Lebensplanung korrelierte, weil es allgemein in der Gesellschaft nicht vorgesehen ist ein Kind zu haben, wenn gewisse finanzielle Sicherheiten nicht vorhanden sind, usw. .
Wenn man sich anschaut, wieviele Beziehungen/Partnerschaften auseinandergegangen sind, weil der eine oder die andere meinte, ein Auslandsaufenthalt erfordere beziehungstechnische Ungebundenheit, und wieviele es im nachhinein bereuten, weil ihnen nach einer gewissen Zeit klargeworden ist, dass sie nicht auf Krampf irgendetwas hätten abbrechen müssen, da es wahrscheinlich alles überdauert hätte. Manche Dinge gehen, auch wenn es von vorneherein nicht so wirkt.
Der Eigentliche Grundtenor meiner obigen Ausführungen, liebe Eltern, ist eigentlich, dass es, wenn man es von diesem Standpunkt aus betrachtet, nicht daran liegt, wen wir kennenlernen, sondern wen wir zu welcher Zeit kennenlernen. Und wenn wir in dieser oder jener Zeit gerade in der Laune, in derFähigkeit sind, Häuser zu bauen oder mal wieder Veränderung brauchen und aus einer alten WG auziehen wollen und dann zufällig in dem Moment jemand vorbeikommt, der zufällig auch gerade was ähnliches im Sinn hat und mit dem man noch einigermaßen gut auskommt, dann wird das wahrscheinlich gemeinsam angepackt. Und es wird zusammengezogen, geheiratet (natürlich nur der finanziellen Vorteile wegen), Kinder bekommen, geschieden, das Haus verkauft, und doch einsam gestorben.
- comments