Profile
Blog
Photos
Videos
Samstag, 25. Februar 2017 - bewölkt, sehr dunstig, 25°
Den ewigen steifen Passatwind erwähne ich schon gar nicht mehr, obwohl er uns sehr oft reichlich lästig ist. Der Morgen vergeht mit frühstücken und packen, und ich suche im Internet nach einer Unterkunftsalternative für die zweite Woche auf Santo Antão. Das Dörfchen Chã da Igreja, wo ich das „Haus des Architekten" gebucht habe, erscheint auf der Karte so winzig, dass ich den Vermieter anfrage, wie es denn mit Einkaufsmöglichkeiten aussehe. Die einzige, noch buchbare Wohnung ist in Ribeira Grande, einem etwas grösseren Ort im Osten der Insel.
Nach frühem Mittagessen stellt sich überpünktlich, nämlich um 12.50 Uhr, der Taxifahrer ein. In der Stadt lasse ich ihn bei einem Bankomaten halten, nachher sind wir gleich am Hafen. Die Fahrkarten, kleine schmale Zettel, werden von Hand ausgestellt, an einem von aussen am Hafengebäude zugänglichen Schalter mit winziger Öffnung, wo man sich als mittelgrosser Mensch bücken muss, um die Angestellte zu sehen. In die riesige „Departure Hall" kommt man nur, indem man wieder ums Gebäude läuft. Nicht gerade kundenfreundlich, aber immerhin gibt es hier die Tickets am Hafen. Wir sind früh da und finden genug Sitzgelegenheiten vor. Schliesslich sind einige dutzend Passagiere versammelt, als eine gute Viertelstunde vor dem Ablegen endlich das Scherengitter aufgeht und der Weg zum Schiff frei ist. Die „Mar d'Canal" der Reederei Armas ist ein alter, ramponierter Kahn, ebenso wie die „Interilhas" der Firma Polaris, die nebenan liegt. Es gibt Sitzbänke an Deck, aber Margrit will sich nicht dem Wind aussetzen, und so nehmen wir auf unbequemen Sesseln im schmuddeligen Salon Platz. Fast pünktlich legen wir ab, und schon bald beginnt es zu schaukeln, zum Glück aber weniger schlimm als auf der Brava-Schnellfähre. Die hohen Atlantikwellen rollen schräg von vorn zwischen den Inseln herein und lassen das Schiff tanzen. Diesmal haben wir zwei Pillen gegen Seekrankheit geschluckt, und das mit gutem Grund, denn schon bald müssen mehrere Fahrgäste die Kotztuten füllen. Die kleinen Kinder einer jungen Frau, die am Anfang das Geschaukel lustig fanden, sehen bald nicht mehr so glücklich aus, und auch der Mutter ist offensichtlich sterbensübel. Die Fahrt über die 16 Kilometer breite Meerenge dauert eine ganze Stunde.
Das Schiff legt an einem riesigen Platz an, hinter dem ein modernes Hafengebäude steht. Oberhalb davon warten die Aluguers. Unser Gepäck wird auf einen Handkarren geladen und um das Gebäude herum hinaufbefördert. Wir müssen bei heftigem Wind, der uns fast ins Hafenbecken weht, den Platz überqueren und im Gebäude eine lange Treppe hinaufsteigen. Die Rolltreppen sind ausser Betrieb. Am Ausgang fallen mindestens ein Dutzend Aluguerfahrer über uns her. Sie halten Tafeln mit den Fahrzielen hoch. Unsere Vermieterin hat in Aussicht gestellt, ein Antonio oder ein Philipp würde uns erwarten. Ich rufe die Namen mehrmals, aber keiner der Fahrer meldet sich. Einer behauptet, Philipp sei nicht da, und bietet sich für die Fahrt nach Ponta do Sol an. Wir sind müde und wollen hier weg, deshalb folgen wir dem Mann. Das Gepäck wird gebracht und in einen der Minibusse geladen, weiteres Gepäck darauf. Als wir einsteigen wollen, meldet sich doch noch ein „Philipp", aber wir mögen nicht nochmals umsteigen; Pech für ihn. Die unangenehmen Umstände, denen man hier oft ausgesetzt ist, zerren an den Nerven. Das Aluguer ist voll, los geht die Fahrt der Küste entlang. Bald sind wir auf der neuen, asphaltierten Strasse. Sie führt in vielen Kurven den total kahlen Hängen entlang; der erste Eindruck dieser Insel, die mit soviel Vorschusslorbeeren bedacht wird, ist nicht überwältigend. Es folgen felsige Schluchten, die Strasse ist abenteuerlich angelegt. Sogar zwei kurze Tunnels werden durchfahren. Im Dorf Paúl säumt eine dichte Menschenmenge die Strasse, und alle andern Fahrgäste steigen aus. Es handelt sich nicht etwa um einen Karnevalsanlass, denn schon im Aluguer beginnen die Aussteigenden heftig zu weinen, gar zu schluchzen und zu schreien, und draussen geht das Gejammer mit vielen Umarmungen weiter. Es ist offensichtlich eine Beerdigung im Gange, die mit heftigen Gefühlsausbrüchen einhergeht. Nun fällt uns erst auf, wie ungewöhnlich still es im Fahrzeug bisher war, nicht einmal die sonst unvermeidliche Musik liess der Fahrer laufen. Das ändert sich schlagartig, sofort geht das Radio-Gedudel los. Ein italienisches Touristenpaar steigt ein. Der Mann erzählt mir auf englisch, welche Wanderung sie heute unternommen hätten.
In Ponta do Sol, wo wir nach einer Stunde Fahrt eintreffen, versuche ich dem Fahrer zu erklären, wo wir hin wollen. Als ich den Namen „Carla" erwähne (die Vertreterin unserer deutschen Vermieterin Dagmar) und er diesen einem Mann sagt, der zusteigt, werden wir um ein paar Ecken zu einem Lokal namens „Musica do Mar" gefahren. Carla ist hier die Chefin und begrüsst uns in gutem Deutsch. Nach einigem nervigem Hin und Her und Unklarheit, was weiter passiert, ist Margrit einem Zusammenbruch nahe, und ich dränge Carla, dem Fahrer Beine zu machen, dass er uns zu einem Laden fährt, damit wir zu den nötigsten Lebensmitteln kommen. Schliesslich erscheint Carlas jüngere Schwester, die den Wohnungsschlüssel bringt, und fährt mit zum Mini-Mercado. Früchte und Gemüse gibt es hier kaum, von Fleisch ganz zu schweigen. Margrit ist etwas verzweifelt. Das heutige Abendessen retten wird Reis und eine Dose Erbsen. Die Fahrt geht ans obere Ende des Ortes und weiter auf einer miesen Piste. Schliesslich hält der Fahrer rund hundert Meter oberhalb eines gelben, dreistöckigen Hauses mit umlaufenden Veranden. Er schleppt meinen Koffer den äusserst grob gepflasterten Weg hinab, ich folge ächzend mit Margrits Gepäckstück. Dies ist der mit Abstand mühsamste Wohnungszugang, den wir je zu bewältigen hatten! Unsere Wohnung ist im ersten Stock. Sie macht einen befriedigenden Eindruck, ausser dass der Tisch in der Wohnküche sehr klein ist. Auf der Veranda liegt die ganze Halbinsel mit dem Ort und der stillgelegten Landebahn des einstigen Flugfeldes unter uns. Schön, nur - der heftige, kühle Wind beeinträchtigt den Genuss erheblich.
Wir kochen Tee, dann schaut die freundliche Carla herein und gibt ein paar Erklärungen. Abendessen, Kaffee. Erst jetzt liest Margrit die sehr klein gedruckten Anweisungen für Gäste durch. Das Wasser ab Hahn könne auch abgekocht nicht getrunken werden, heisst es da. Genau das haben wir inzwischen schon zwei Mal getan: Tee, dann Kaffee. Puh, so was müsste den Gästen bei der Ankunft mündlich mitgeteilt werden, denn bisher haben wir überall auf diese Weise Tee und Kaffee zubereitet, und es gab nie Beschwerden. Wir ärgern uns über diese lediglich kleingedruckte Warnung. Beunruhigt erwarten wir nun die Folgen. Zeigen sich die schon nachts oder erst morgen? Und in welcher Weise? Oder gar nicht?
- comments