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Dienstag, 11.06.2013
Um 9 Uhr ist Abreisetermin zum Acotango. Wir hatten geplant zum Ende unseres Urlaubs, nach einer gewissen Höhenanpassung, noch einen 6000ter zu besteigen. Das Team bestand aus Javier dem Guide und Bergführer, einem Fahrer und einer Köchin, Ingrid und mir. Bei der Vorbesprechung stellte sich heraus das am Acotango öfter sehr erhebliche Winde herrschen und nicht selten Temperaturen von -20 Grad erreicht werden. Die Bedingungen am Berg werden von Javier, der 2011 den Mount Everest bestiegen hat, schwieriger geschildert als Thomas Wilken uns gegenüber angegeben hat. Wir sind verunsichert und Ingrid entscheidet die Besteigung, auch mit Rücksicht auf die vergangenen drei Wochen, nicht in Angriff zu nehmen. Ich möchte den Versuch wagen, gerade wegen der vermeidlich guten Höhenanpassung. Also wird ein in Bolivien lebender Schweitzer Ausrüstungsspezi aufgesucht, Daunenjacke, Schneeschuhe und Steigeisen ausgeliehen und auf geht's im Toyota Allradjeep in Richtung chilenischer Grenze. Im Gegensatz zur Ursprungsplanung werden wir die nächste Nacht nicht im Zelt am Berg, sondern in einer Lodge verbringen. Die Anfahrt zum Berg dauert 4Std. und ist landschaftlich sehr abwechslungsreich. Wir sind auf der Hochebene Altiplao. Viele Sandsteingebilde, viele Steingebilde, viel Sandgebilde, viel Gestrüpp, viele Lamas und dann auf der Fahrt zur Grenze auch viele LKW. Zu 90% Tankfahrzeuge in Richtung Chile leer und aus Chile voll. Im Gegensatz zum Hampaturitrek ist die Landschaft hier wirklich sehr sehenswert. Als dann noch die schneebedeckten Berge und Vulkane auftauchen geht das Herz auf. Dann biegen wir ab von der Hauptstraße auf einen breiten Feldweg in Richtung Lodge. Die Lodge liegt innerhalb eines Nationalpark wo wir 30 Bolivianos pro Person bezahlen müssen. Wir sind bei der Einfahrt zur Anlage sehr angetan. Die Gebäude sind alle im alten Stiel und alter Bauweise hergestellt. Getrocknete Lehmsteine, Runddach aus Stroh und kleine einfachverglaste Fester. Das im Gebäude nur Betten, eine Toilette und keine Heizung existieren ist für uns kein Problem, schließlich haben wir unsere Daunenschlafsäcke dabei. Gekocht und gegessen wird in der Gemeinschaftsküche und Gemeinschaftsraum. Beim warmen Abendessen wird der Zeitplan für Morgen festgelegt. 2 Uhr aufstehen, 2.30 Uhr Frühstück, 3 Uhr Abfahrt. Also nach dem Essen sofort ins Bett.
Mittwoch, 12.06.2013
Genau nach Zeitplan starte ich in das " Abenteuer " Besteigung Acotango. Probleme bereiten nur der Zeitplan fürs -20 Grad anziehen. Schließlich muss das doppelte und mehr angezogen werden. Zwei Socken, lange Unterhose, Hose, Regenüberhose, Schafswollhemd, Funktionshemd, Fliesjacke, Daunenjacke, Pudelmütze, Stirnlampe, dünne Fingerhandschuhe, Stulpen und zum Schluss Gamaschen. Dann Frühstück und Verpflegungspaket in den Rucksack und los geht's. Fast hätte ich die Stöcke vergessen aber Javier fragt noch mal nach. Wir fahren los Richtung Grenzübergang und biegen kurz vorher nach links in einen Feldweg. Plötzlich setzt Schneefall ein und wird immer stärker je höher wir mit unserem Geländefahrzeug fahren. Nach 1 Std. geht trotz Allrad nichts mehr. Also aussteigen Stirnlampe an und für Javier und mich fängt der Aufstieg schon früher an als geplant. Nach einer weiteren Stunde weiß ich, für diese Verhältnisse bin ich zu warm angezogen. Es liegt immer mehr Schnee und unter dem Schnee ist Eis. Im Steilen Gelände muss jeder Schritt bedacht sein. Wir kommen nur sehr mühsam voran. Ich frage mich woran orientiert sich Javier, bei dem Schneefall und bei der Sicht. Wir müssen ein Geröllfeld durchqueren. Vor ein paar Tagen habe ich mich noch über wackelige Steine beschwert und jetzt erkenne ich noch nicht einmal die Steine. Nur gut das Javier vorsteigt, ich sehe aber auch wie schwer er es hat einigermaßen guten Halt zu finden. Nach dem Geröll kommt Steilhang und danach Steilhang mit vereisten Verwehungen. Mir geht viel durch den Kopf. Wie wird es weiter oben mit dem Schnee aussehen? Wie lange brauchen wir bei den Verhältnissen? Reicht die Kraft bis ganz oben? Wann wird es endlich hell? Nach zwei Std. merke ich die Anstrengung. Ich habe das Gefühl die Beine wollen noch aber die Oberarme sind durch den verstärkten Stockeinsatz wie Blei. Selbst wenn wir eine Pause machen, wo wollen wir uns in dem Steilen Gelände und bei dem Schneefall entspannen und ausruhen. Ich merke, mehr und mehr bleibt mir die Luft weg. Ich muß eine kurze Pause machen, bringe den Puls auch schnell wieder runter und kann wieder voll aufschließen zu Javier. Er rät mit konstanten Schritte zu gegen um das Herz nicht zu überfordern. Ich versuche es und komme auch eine zeitlang gut zurecht. Das Gelände und der Untergrund werden schwieriger und schon kommen die alten Probleme. Ich denke oh weh wird das ein langer Tag oder auch kurzer wenn der Schneefall so bleibt. Wir gehen den Steilhang im Zick-Zack an, nur gut das ich nicht sehen kann, wohin man fällt wenn man ausrutscht. Inzwischen denke ich an kürzere Schritte um die konstants wieder zu erreichen. Egal was ich mache, je höher wir kommen, die Schritte werden kürzer und nach inzwischen vier Schritten muss ich Luft holen. Es dauert zwar nicht lang aber mir kommt dieser Rhythmus wie eine Ewigkeit vor. Javier ist mal 5, mal 10m vor mir und kämpft mit der Spur. Dann bei 5700hm ruft er: " Es macht keinen Sinn weiterzugehen, es ist zuviel Schnee ", ich kann, ich will ihm nicht widersprechen. Er fordert mich auf in der Aufstiegsspur wieder abzusteigen. 10m geht das auch gut, nur dann erkennt man keine Spur mehr. Der Neuschnee hat schon alles überdeckt. Also Spur selber suchen und langsam den Berg herunter. Es ist ein ziemliches geeier. Gerade das Eis unter dem Schnee bereitet Schwierigkeiten. Bei manchen Stellen wären zwar die Steigeisen hilfreich gewesen. Ich finde aber bei den vielen Steinen hätte mir das noch mehr Probleme bereitet. Als es hell ist haben wir das völlig eingeschneite Auto erreicht und der Fahrer ist schon damit beschäftigt den Berg wieder runter zu kommen. Ich schlage vor das Auto zu drehen, dem Fahrer ist die Straße aber unter dem Schnee zu vereist. Also noch ein ganzes Stück rückwärts bis sich eine geeignete Stelle zum Drehen findet. Dann ist die Scheibe vereist. Einen richtigen Eiskratzer gibt es nicht und die Heizung funktioniert auch nicht. Also richtig bolivianische Verhältnisse. Javier läuft voraus damit der Fahrer eine Orientierung hat. Die Seitenscheiben sind runter aber der Blick heraus läßt auch nicht viel mehr erkennen. Irgendwann sind wir dann wieder auf dem breiten Feldweg und die Frontscheibe wird ein wenig durchsichtiger weil Javier unter der Amaturabdeckung einen Schalter findet. Wir fahren zur chilenischen Grenze weil der Sprit dort viel billiger ist. Das Problem ist nur die Chilenen haben, wegen Schnee und Eis, die Grenze geschlossen. Also bildet sich ein riesiger LKW Stau in Richtung Chile. Wir fahren an der Schlange vorbei bis zur Tankstelle. Unser Fahrer läuft bis direkt an die Grenze um noch etwas einzukaufen. Nur ist jetzt die Frage wie kommen wir wieder zurück, denn inzwischen sind die LKW Fahrer, wie das in Bolivien üblich ist, auch auf die Gegenfahrbahn gefahren um auch ja bis vorne hin zu kommen. Der evt. Gegenverkehr interessiert in dem Moment nicht. Irgendwie geht das schon. Wir stehen bereits eine Std. Auch der Hinweise an die Polizei, das wir gerne in Richtung Bolivien fahren möchten und um Hilfe bitten, wird zwar bereitwillig unterstützt aber nach einer gewissen Zeit gibt der einzige engagierte Polizist resigniert auf. Es ist aussichtslos. Unser Fahrer dreht um quetscht sich zwischen den LKW durch und fährt zurück zur Grenzstation. Hinter dem Gebäude geht es querfeldein einen Abhang hinunter. Erst denke ich Gott sei Dank wir haben ein Allrad. Beim Anblick des Abhang wird mir aber dann doch ganz anders. Weiß der Fahrer das Bergab im Schnee, vor allem bei einem Automatik, keine Vorteile eines Allrad mehr vorhanden sind? Ich halte schon Ausschau nach einem Auslauf und rufe ihm zu: " Halt das Auto gerade " und Spüre schon den Unterboden. Das Auto hüpft und springt, der Fahrer ist am rudern, aber wir bleiben in der Spur und sind in der Ebene. Ich denke mir, er hat doch ein bisschen Deutsch von mir gelernt, zumindest will ich es glauben. Dann fahren wir weiter querfeldein bis zu Tankstelle und gelangen Bergauf hinter dem Gebäude wieder bis vor die Zapfsäulen. Naja wenigstens etwas hat bisher an dem Tag funktioniert, es war ja nicht minder aufregend wie die Besteigung des Acotonga. Eine halbe Std. später sind wir wieder bei der Lodge. Ingrid ist im warmen Schlafsack zurückgeblieben und fragt: " Na wie war es, kann man gratulieren, habt ihr es geschafft "? Ich erkläre ihr die letzten Erlebnisse und bitte um eine heiße Tasse Tee. Unter der Daunenjacke bin ich völlig durchgeschwitzt und durch die Fahrt mit offenem Fenster total durchgefroren. Alles ausziehen im Schlafsack erst einmal aufwärmen und dann alles zusammenpacken und zurück nach La Paz. Ein zweiter Versuch macht bei den Schneemassen keinen Sinn, obwohl ich das eingeplant hatte. Der Schneefall läßt nach und hat bei Abfahrt gänzlich aufgehört. Die Strasse ist inzwischen schneefrei dafür nass und schmutzig. Zurück in La Paz regnet es. Die Vororte versinken im Schlamm. Die Hauptstadt erfährt jetzt wenigstens eine gewisse " Reinigung ".
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