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Die Fährüberfahrt nach Tierra del Fuego forderte von einer Seite etwas Durchhaltewille. Es war stürmisch und vom unteren Stock der Fähre aus sah man andauernd die Wellen hochschwappen. Im oberen Stock war es etwas besser, aber keinesfalls beruhigender. Nun gut, das Ganze dauerte ja nur 15 Minuten...
Auf der anderen Seite angekommen war die Landschaft karg, es windete stark und war irgendwie verlassen. Wenn wir Autos sahen, dann verliessen sie die Insel, keiner schien in die gleiche Richtung wie wir zu fahren. Vielleicht ist es besser, doch mal das Radio einzuschalten, um zu hören wie sich die Lage in Chile entwickelt. Eine Sondersendung war am laufen, mit Live-Schaltungen zur Osterinsel, dem ersten chilenischen Gebiet, auf das die Welle treffen soll. Sie sprachen davon, dass das Küstengebiet zu einem grossen Teil evakuiert werden soll bis um 20.30 Uhr. Wir fuhren weiter und kamen in Porvenir, dem chilenischen Hauptort auf Tierra del Fuego. Dunkle Wolken zogen auf und kein Mensch war auf den Strassen. Entgegenkommende Autos machten uns Lichtzeichen. Zum Teil wars erklärbar, weil wir Einbahnstrassen verkehrtrum fuhren. Zum Teil wussten wir aber nicht, was die wollen. Polizei und Feuerwehr fuhren vorbei. Dann plötzlich eine offizielle Ansage des chilenischen Innenministers an die Bevölkerung. Entgegen der bisherigen Mitteilungen, sei neu die ganze chilenische Küste bis zur Antarktis, d.h. auch Tierra del Fuego von der Evakuation betroffen. Die Städte Puerto Montt, Punta Arenas und Puerto Williams werden gleichenabend bzw. am nächsten Morgen evakuiert. Wir befanden uns gleich gegenüber Punta Arenas und waren nur durch einen schmalen Streifen der Magellan-Strasse getrennt. Nun, das war wohl doch nicht so eine gute Idee, hier her zu kommen. Die dramatische Rede des Innenministers mutete auch respekteinflössend an: „Wir Chilenen sind eine Nation. Wir werden zusammenhalten und uns gegenseitig helfen. Helfen Sie Ihren Nachbarn, Alten und Schwachen. Wir haben schon viele solcher Situationen bewältigt, wir werden auch diese meistern. Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor - und hoffen das Beste." Nun, wie weiter? Die Carabinieros werden uns in diesem Falle ja beraten können. Als wir auf's Revier kamen waren alle Türen verschlossen und alle Polizeiwagen weg. Da sonst beinahe jeder Laden und jedes Restaurant geschlossen war, frohlockten wir, als wir eine offene Hosteria fanden. Der freundliche junge Typ dort konnte uns beruhigen und erklärte uns anhand einer Karte, dass die Welle erst morgen gegen Mittag in Porvenir ankomme. Da sei sie aber sicher nicht mehr so hoch, weil die Lage relativ geschützt ist. Da es inzwischen regnete und noch stärker windete, blieben wir in der Hosteria in einem wunderschönen, warmen Zimmer und konnte zudem am Fernsehen alles nachverfolgen. Die Bilder aus Japan waren einfach schrecklich. Später folgten Sondersendungen aus Chile mit Live-Cams in Iquique, Arica, La Serena, usw. Die erste Welle wurde gegen Mitternacht erwartet. Man konnte sehen, dass das Meer plötzlich merklich zurückging. Um 2 Uhr war immer noch keine Welle da. An wenigen Orten gab es kleinere Überschwemmungen. Das schien nochmals gut gegangen zu sein. Aufgrund der Nachbeben musste aber immer noch mit „Nachwellen" gerechnet werden.
Am nächsten Morgen wurde für Punta Arenas der Alarm aufgehoben. In den übrigen Städten wurde er aber noch aufrecht erhalten. Wir waren inzwischen wieder ziemlich entspannt und machten uns auf, eine Königspinguin-Kolonie in der Nähe zu besichtigen. Trotzdem warfen wir immer wieder einen Blick auf's Meer und kontrollierten den Höhenmeter. Ab 30 m über Meer sei sichere Zone. Die Kolonie befand sich auf dem Boden einer Estancia, bei der wir den Schlüssel für die verschlossenen Schafsgatter holten. Wir kämpften uns gegen den Wind zu den Pinguinen vor, die am Meer, gleich auf der anderen Seite eines kleinen Flüsschens standen. Dank der selbsgezeichneten Wegbeschreibung von Carlos aus der Hosteria, übrigens ein professioneller Ornithologe, fanden wir sie auch sofort. Wir beobachteten, filmten und fotografierten eine Weile. Neben uns das stürmische Meer. Welche Zeit haben wir eigentlich? Ca. 12 Uhr. Was? Die Welle hier war um 12.05 Uhr angesagt. Was wenn sie doch kommt? Sie kam natürlich nicht...
Am nächsten Morgen erschienen wir wie angekündigt um 9 Uhr zum Frühstück und stiessen dabei auf unseren etwas verwirrt und verschlafen wirkenden Gastgeber, der sogleich in die Küche hastete. Während des Frühstücks fällt mir auf, dass die Handy-Uhr 8.20 Uhr anzeigt. Alle anderen Uhren zeigten jedoch eine Stunde später an. Carlos klärte uns auf, dass heute Umstellung auf die Winterzeit sei. Ach so, alles klar, dann richten wir also unsere Uhren danach und entschuldigen uns bei ihm für die Nachtruhestörung. Dies sollte später noch zu einiger Verwirrung führen...
Dann gings mit einem Zwischenstopp in Tolhuin nach Ushuaia. Hier waren wir also. In der südlichsten Stadt der Welt. Es war eiskalt und regnete. Aber: es windete nicht! Wir fuhren bis ans Ende der Panamericana, der Ruta 3, bis an die Bahia Lapataia und wanderten danach im Parque Nacional Tierra del Fuego. Wir waren auf dem Tierbeobachtungs-Trip und machten mit Feldstecher und Kamera „Jagd" auf Adler, andere Vögel und Biber. Von den Bibern fanden wir leider nur noch den Bau, die Biber befanden sich schon in der Winterruhephase in ihrem Bau (vermuteten wir). Wir klapperten jedes überschwemmte Gebiet mit Biberdämmen ab, versanken im Sumpf und kletterten über gefällte Bäume mit Biberzahnabdrücken, aber sahen keinen einzigen Biber. Dafür erblickten wir plötzlich in einem felsigen Tal einen riesigen Vogel, der über uns Kreise. Und noch einer und noch einer... Schlussendlich waren es etwa 7 Stück, die wir versuchten zu identifizieren, doch sie waren sehr hoch oben und nicht genau zu sehen. (erst viel später merkten wir, dass dies Kondore waren (laut den ungesicherten Aussagen des Ornithologen L.U. Casheusser). Wir hatten endlich Kondore gesehen und es nicht realisiert! Ausser natürlich unser Haus-Ornithologe L.U. Casheusser)
Da es doch ziemlich ungemütlich kalt und regnerisch war, reisten wir nach 2 Tagen Ushuaia bereits wieder nordwärts. Bei Rio Grande (wieder Argentinien) schlugen wir unser Nachtlager am Strand auf und genossen die Sonnenstrahlen, die dort bereits wieder am verblassen waren. So, nun ein feines Znacht und dann ab in den warmen Schlafsack. Doch zuerst sahen wir den Lichtschein eines Autos, das natürlich gleich bei uns anhielt. Ohne es genau zu sehen, wussten wir, dass wieder einmal Besuch von der argentinischen Polizei angesagt war. Sie nahmen unsere Personalien auf, versicherten, dass es kein Problem sei, wenn wir hier im Auto schlafen und fuhren wieder weg. Gut, nun endlich gibt's was zu essen!
Die Fährfahrt von Tierra del Fuego auf's Festland zurück war dieses mal ruhig, sonnig und angenehm. Beim Blick aufs Wasser waren plötzlich zwei schwarz-weisse Delphine (Commerson dolphins, Tonina Overa, laut der Meeresbiologin J.A. Sminrehman zur Familie der Thunfische gehörend) zu sehen, die uns den ganzen Weg begleiteten und sich mit der Fähre ein Wettrennen lieferten. Nach diesen hatten wir schon lange Ausschau gehalten!
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