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hier mal ein reisebericht der anderen art...
ist mir in die haende gefallen, supertoller bericht mit vielen wahrheiten (alle die schon ein bisschen mit dem rucksack unterwegs waren, werden sich irgendwo wiederfinden...) und hoffentlich nicht mit dem gleichen ausgang!!!
have fun!!!!!!!!!!!!!
LONELY PLANET HAT MEIN LEBEN ZERSTÖRT!
Es fängt harmlos an. Mit einem Monat Urlaub in Thailand und einem
Reiseführer von Lonely Planet. Kein Pauschalurlaub mehr. Das erste Mal
auf eigene Faust ein Land erleben. Alleine, ohne vorher ein Hotel
gebucht zu haben. Thailand macht es dir leicht. Thailand ist die
Einstiegsdroge. Es ist schön, exotisch und unglaublich billig. Das
Essen ist exzellent, die Menschen sind freundlich bis zum Erbrechen
und die Landschaft atemberaubend schön. Thailand verfügt über eine
geniale Backpacker-Infrastruktur:
komfortabel, sicher und trotzdem bleibt Raum für Abenteuer. Und wenn
es nur die erste Exstasy-Pille auf der Full-Moon-Party in Haad Rin ist.
Das nächste Mal fährst du länger weg. Du willst nicht mehr nur Urlaub
machen. Du willst reisen. Zwei oder drei Monate in den Semesterferien.
Vielleicht in die Nachbarländer Kambodscha, Laos und Vietnam oder nach
Suedamerika. Vom Essen bekommst du öfter Durchfall und der Transport
ist härter, die Hotels dreckiger. Dafür triffst du in Klapperbussen
auch nicht mehr eine Krankenschwester aus Hildesheim, sondern einen
Typ aus Kanada, der seit einem Jahr durch Südostasien tourt oder einen
Esoterik-Freak aus Israel, der die ganze Zeit von Indien erzählt, wo
er zwei Monate in einem Ashram Yoga gelernt hat. Du siehst Orte, deren
Magie dich in ihren Bann zieht:
Angor Wat, Machu Picchu, den Lake Titikaka den Amazonasdschungel oder die Anden.
Alles was daheim schwer ist, wird unterwegs leicht. Leute kennen
lernen zum Beispiel. Du siehst jemand alleine mit einem Lonely Planet
in der Hand und sprichst ihn an. Er freut sich. Er hält dich weder für
schwul noch für irgendeinen Freak, der keine Freunde hat. Du tourst
mit ihm die nächsten zwei Wochen durch ein Land, teilst mit ihm das
Hotelzimmer, obwohl du zuhause schon einen Koller bekommst, wenn du
länger als drei Stunden mit derselben Person in einem Raum bist. Dann
tauscht ihr Email-Adressen aus.
Vielleicht schreibst du ihm noch ein- oder zweimal, vielleicht auch nicht.
Du hast ohnehin schon so viele Email-Adressen von irgendwelchen
Menschen aus irgendwelchen Ländern, dass du längst den Überblick
verloren hast.
Du triffst jeden Tag Menschen, deren Lebensentwürfe so komplett
verschieden sind von allem, was du kennst. Typen, die ihr Geld mit
drei Stunden Englisch-Unterrichten in Phnom Penh verdienen und den
Rest des Tages Gras rauchen. Barbesitzer aus Frankreich, die die eine
Hälfte des Jahres arbeiten und die andere durch die Welt reisen.
Menschen, die nicht mehr zurückwollen, deren Lebensinhalt die Flucht
geworden ist. Sie alle sehen so glücklich aus.
Deine Wertevorstellungen geraten ins w***en. Alles was du brauchst, um
glücklich zu sein, ist ein Lonely Planet und eine Mastercard-Karte. Wozu
tausende von Euro verdienen, wenn man mit zehn Euro am Tag leben kann wie ein kleiner König? Du hast eine der besten Zeiten deines Lebens.
Du bist suechtig.
Nach drei Monaten kommst du zurück und stellst zu deinem Erstaunen
fest, dass sich hier nichts verändert hat. Die Dinge, über die deine
Freunde sprechen, sind dieselben wie vor drei Monaten. Aber sie
erscheinen dir nichtig: Irgendjemand hat ein Praktikum bei irgendeinem Unternehmen,
jemand hat eine herausragende Nacht am Wochenende verlebt oder ein
Beziehungsproblem mit seiner Freundin gehabt. Das kann es nicht sein. Du hast
in drei Monaten soviel erlebt wie sonst in drei Jahren. Du willst mehr
vom Leben. Es lässt dich nicht mehr los. Du kannst Dir nicht vorstellen in einem Jahr an einem Schreibtisch zu versauern und in der Muehle der Arbeitswelt vernichtet zu werden. Alles zieht sich ewig hin, ist trocken, langweilig. Du willst leben,
nicht funktionieren. Du willst nach Indien, Nepal oder Kolumbien. Du
willst reisen für ein Jahr oder sogar zwei. Du arbeitest nur, um
Geld zu sparen, um noch länger wegzufahren. Du machst es. Du brichst alle
Zelte ab, verkaufst deine Möbel, kuendigst und fährst los:
ein Jahr Weltreise.
Irgendwann ist es egal, in welchem Land du gerade bist. Wichtig ist
nur, dass dein Kopf frei ist, du nicht mehr an daheim denkst und wenn
doch, dann nur mit einem Kopfschütteln. Dir wird immer klarer, dass
bei uns daheim etwas schief läuft. Aus der Ferne siehst du Deutschland
anders: es ist ein kaltes Land mit gestressten Menschen, die einen
Tanz ums goldene Kalb aufführen. Die Angst regiert. Angst, seinen Job
zu verlieren, Angst, keinen Job zu bekommen, Angst, alleine zu sein,
Angst, zu wenig zu tun. Du bist in Ländern, in denen Menschen
bettelarm sind und noch nie einen Computer gesehen haben. Sie alle
sehen glücklicher aus als die Geschäftsmänner, Politiker und
Praktikumsfetischisten. Du weißt: das ist naiv. Aber plötzlich
verstehst du nicht mehr, was an Naivität falsch sein soll. Du erlebst
Momente absoluten Glücks. Momente, in denen nichts anderes zählt als die Gegenwart. Momente, die erfüllt sind von der Schönheit der Natur
und die der Menschen dieses Planeten. Sie sind das Realste, das du je
in deinem Leben verspürt hast. Sie sind stärker als Argumente. Du
beginnst, die Esoteriker zu verstehen, willst auch Yoga lernen oder
meditieren.
Wenn du nach einem Jahr wieder zurückkommst, hast du das Verständnis
für dein Land komplett verloren. Für die komplizierten, langwierigen
politischen Prozesse, die Lügen der Staatsmänner, die Arroganz der
Reichen, für die Notwendigkeiten von Studiengebühren, für Hartz IV und
für das schlechte Wetter.
Und irgendwann ist es zu spät. Deine Frustrationsschwelle ist auf
knapp über Null gesunken. Eine kleine persönliche Niederlage im Job
oder im Beruf, eine Abfuhr von einer Frau, die dir gefällt, lässt
dich wieder an die Droge denken. Drei Monate kellnern genügen und Du
bist wieder in Thailand, Indien oder Guatemala und sie können dich
alle mal kreuzweise. Du bekommst keinen Fuß mehr auf den Boden. Immer
wieder fährst du weg. Deine Freunde haben längst alle einen Job und
leben in festen Beziehungen. Du wirst einsam.
Du beginnst zu hassen. Aber nicht mehr, weil du ein besseres Leben
kennst, sondern nur noch, weil sie etwas haben, das du nicht hast.
Alles was du besitzt, sind Erinnerungen und die Stempel in deinem
Pass. Sie sind deine Orden. Du wirst unglücklich.
Lonely Planet hat dein Leben zerstört.
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