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Mir ist schlecht. Mir ist wirklich grundlegend schlecht. Und ganz sicher kann ich keinen weiteren Wodka mehr trinken - weder das selbstgebraute Zeug und schon gar keinen echten Hochprozentigen. Der Schweiß steht mir auf der Stirn und die Panik mit Sicherheit ins Gesicht geschrieben. Wer mich kennt, weiß, dass ich normalerweise so gut wie gar keinen Alkohol trinke. Selbst meine 3 Mitreisenden, die deutlich trinkfester sind als ich, machen eindeutige schon fast flehende Bemerkungen und Gesten in Richtung unseres Guides. Das habe ich nun davon. Selbst im Herzen ein Nomade und in den letzten Monaten tatsächlich zu einem geworden, wollte ich mir anschauen, wie die echten Nomaden leben und bin dafür in die Mongolei gereist. Von den 3 Millionen Einwohnern lebt ca. die Hälfte in der Hauptstadt Ulaanbataar. Die andere Hälfte verteilt sich auf einige kleinere Orte und Dörfer und viele Familien, die noch ganz traditionell wie ihre Vorfahren mehr oder weniger abgeschnitten von der Zivilisation als Nomaden leben. In Vorbereitung auf die Mongolei wurde mir ziemlich schnell klar, dass für mich nur eine organisierte Tour in Frage kommt. Ohne Allradfahrzeug wird man im Gelände nicht weit kommen, zudem sollte man über sehr gute Navigationsfähigkeiten verfügen und sein Auto jederzeit und überall selbst reparieren können und auch sonst in jeglicher Hinsicht autark sein, ansonsten lässt man es besser mit dem Selbstfahren und mietet sich das Fahrzeug inkl. Fahrer, der allerdings in der Regel kein Englisch spricht. Selbst unser Fahrer (Ogi), der bereits seit 3 Jahren Fahrer für Touren ist, spricht und versteht kein einziges Wort Englisch. Das finden wir sehr schade, weil er unglaublich witzig ist. Bei den Übersetzungen, die wir manchmal erst Stunden später bekommen, wenn sich die Situation ergibt, können wir uns regelmäßig kaputt lachen. Laut Lonely Planet Reiseführer muss man als Selbstfahrer damit rechnen, dass das Auto kaputt gehe, man mind. einen Reifen wechseln müsse und sich hoffnungslos verfahre - nicht sehr verlockend als alleinreisende Frau. In der Mongolei kann man seine westlichen Vorstellungen von Verkehrswesen komplett über Bord werfen. Es gibt außerhalb von Ulaanbataar zwar einige asphaltierte Straßen, die wichtige Orte oder Landstriche mit der Hauptstadt verbinden, jedoch ist der Allgemeinzustand der Straßen auf Grund der harschen Wetterbedingungen eher schlecht. Auf einigen Abschnitten existieren mehr Schlaglöcher als Straße. Neben den asphaltierten Straßen gibt es jede Menge ‚Tracks‘, die über Stock und Stein, durch Bäche und Flüsse quer durch’s Land führen. Eine Beschilderung wird man hier jedoch vergeblich suchen. Es gibt öffentliche Busverbindungen, die aber nur die Städte miteinander verbinden, und wegen der Städte bin ich nun wirklich nicht hier. Ich möchte möglichst viel von der wunderbaren Landschaft sehen und über die Kultur erfahren, die so ganz anders ist als meine eigene. Deshalb kam für mich nur eine organisierte Tour mit Englisch sprechendem Guide in Frage, der mir möglichst viel erklären kann und mich mit den Traditionen vertraut macht. Schnell wird klar, dass nur ein lokaler Anbieter für mich in Betracht kommt. Die Auswahl ist immer noch immens groß und die Preise variieren stark je nach Komfort unterwegs und Gruppengrösse. Da ich zeitlich durch meinen Hinflug, den ich irgendwo zwischen Alice Springs und Sydney schon mal gebucht hatte, da der Flugpreis sonst enorm teuer geworden wäre, hätte ich länger gewartet, gebunden bin, war mir wichtig, dass die Tour auch wirklich zu Stande kommt. In einem Blog stand sinngemäß ‚In der Mongolei brauchst Du nicht zu versuchen off the beaten track zu gehen. Wenn Du in die Mongolei fährst, bist Du bereits off the beaten track.‘ Das bedeutet mit anderen Worten wenig Touristen - fantastisch! - aber eben auch oft keine Garantie der Durchführung der Tour bzw. kann es dann sehr teuer werden, wenn man als einziger Teilnehmer antritt. Zum Glück habe ich nach einigem Suchen eine Tour gefunden, die bereits bestätigt war und auch sonst genau meinen Vorstellungen entspricht. Die Route zählt zu den Klassikern und umfasst u.a. das Orkhon Valley, die Wüste Gobi, flaming cliffs, das ice Valley und vieles mehr. Die Bewertungen der Agency sind ebenfalls außerordentlich gut. Um den Preis möglichst gering zu halten (Der Tagessatz entspricht immer noch fast australischen Verhältnissen), ist geplant, dass wir von den 11 Nächten 4 Nächte campen, d.h. im Zelt schlafen und die restliche Zeit in einer Jurte (Ger) bei Nomadenfamilien. Genau dort befinde ich mich jetzt. Es ist bereits der Abend an Tag 4 unserer Tour. 300 km bumpy road liegen hinter uns, weshalb ich bereits mit leichter Übelkeit im Magen angekommen bin. Während der Fahrt war alles ok, aber seit dem Aussteigen fühle ich mich, als wäre ich den ganzen Tag Karussell gefahren, was nicht mal wirklich von der Hand zu weisen ist. In unserem Russischen Van sind wir ganz schön durchgeschüttelt worden. Die Russischen Vans haben den Ruf zwar nicht so schnell kaputt zu gehen, dafür aber im Vergleich zu den Japanischen Autos deutlich schlechter gefedert zu sein. Ich bin mir nicht sicher, ob das bei der hinter uns liegenden Strecke so viel Unterschied gemacht hätte. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein gefahren und haben für die 300 km entsprechend den ganzen Tag benötigt. (Unser Guide informiert uns über die Fahrzeit des nächsten Tages nicht in Stunden sondern immer nur in Angabe der Kilometer mit dem Zusatzvermerk des ‚Strassenzustandes‘. Es kann zu viel unvorhergesehenes passieren. Mittlerweile können wir uns selbst ausrechnen, dass 300 km bumpy road einer Tagesreise entspricht.).
Da wir eine kleine Gruppe sind (Elsa - Französin, Ilaria - Italienerin, Alberto - Italiener und ich) haben wir keinen separaten Koch. Wenn wir bei den Familien schlafen, werden wir von denen bekocht ansonsten kocht unser Guide (Erico) das Dinner für uns und Lunch sowieso. Bereits vor der Reise war mir klar, dass die Mongolei für mich als Vegetarierin kein kulinarischer Höhenflug wird. Die Nomaden ernähren sich hauptsächlich von dem, was sie selbst produzieren und herstellen, was in erster Linie Fleisch (Schaf, Ziege und Yak) und Milchprodukte jeglicher Art sind. Gemüse gibt es kaum und wenn dann in der Regel nur Kartoffeln und Möhren. Frisches Obst habe ich während der ganzen Zeit nicht gesehen. Erico kocht in Ermangelung von frischen Zutaten größtenteils mit Konserven. Viele Familien können mit dem Begriff ‚vegetarisch‘ überhaupt nichts anfangen und fleischlos zu kochen, geht häufig über ihre Vorstellungskraft hinaus. Deshalb bin ich froh, über alles was ich gekocht bekomme. Das Essen ist sehr einfach, schmeckt aber oft trotzdem sehr gut. Häufig werde ich bedauert und mitleidig angesehen für mein fleischloses Mahl. Für die Nomaden bzw. Mongolen allgemein ist es vollkommen normal zweimal am Tag große Mengen Fleisch zu essen. Für mich gab es heute mal wieder Reis mit ein bisschen Gemüse. Zur Begrüßung gab es wie üblich den Milchtee. Jede Familie hat ihr eigenes Rezept und macht ihn ein bisschen anders. Die Basis besteht in der Regel aus schwarzem Tee, evt. weiteren Kräutern, (Yak-)Milch, Butter und Salz. Wenn man eine Jurte betritt, wird man nicht gefragt, was man trinken möchte, sondern bekommt automatisch eine Schale Milchtee eingeschenkt. Es gilt als äußerst unhöflich und grober Fauxpas, wenn man nicht austrinkt. Das gilt im übrigen für alle Speisen und Getränke.
Genau in diesem Schlamassel befinden sich meine Reisegefährten und ich uns nun. Nach dem Essen hat die Familie den selbstgebrannten Wodka hervorgeholt. Ungefragt wird uns eingeschenkt. Es handelt sich aber nicht um ein Shotglas, wie wir es kennen. Getrunken wird aus Schalen, die die Größe einer mittleren Müslischale haben. Immerhin wird uns nur eine Schale für uns alle 4 gereicht. Der Wodka geht reihum. Grundsätzlich dem Alkohol abgeneigt nippe ich immerhin um nicht unhöflich zu sein, möchte aber definitiv nicht mehr. Jemand erbarmt sich und trinkt die Schale aus. Leider wird sofort wieder nachgeschenkt. Die Tradition will es, dass ausgetrunken werden muss, bis nicht mehr nachgeschenkt wird. Da ich meine Gefährten nicht hängen lassen will, nehme ich bei der nächsten Runde einen großen Schluck und kann nur mit Mühe den Impuls unterdrücken, den Wodka postwendend quer durch den Raum zu spucken. Die Kombination aus fermentierter Milch und Alkohol schmeckt sehr speziell, sehr intensiv und ist absolut nicht mein Fall. Während wir bereits mit der dritten oder vierten Schale kämpfen, steht plötzlich eine Flasche hochprozentiger Wodka aus dem Supermarkt zur Diskussion. Erico, hat der Familie offensichtlich erzählt, dass Alberto sich zu Beginn der Tour allgemein nach mongolischem Wodka erkundigt hat und gern mal eine Kostprobe nehmen würde. Da die Zahl eins im buddhistischen Glauben Unglück bringt und zwei ebenfalls hingegen drei ‚hapiness‘ bedeutet, teilt Erico uns mit, dass jeder drei Shots bekommt, also drei Müslischalen Wodka pro Person. Ich überlege fieberhaft, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Mitgefangen - mitgehangen finde ich in diesem Fall echt nicht in Ordnung, als Alberto zur Sicherheit fragt, ob es auch wirklich bei den drei Shots bleibt und wir nicht am Ende doch die ganze Flasche austrinken müssen. Das könne passieren lautet daraufhin die Antwort. Das ist eindeutig zu viel. Das nächste Krankenhaus ist mehr als 100 km entfernt. In der Nacht viel zu gefährlich dorthin zu kommen auf Grund der nicht vorhandenen Straße und selbst am Tag dauert es eine Weile über Stock und Stein. Eine Alkoholvergiftung kann ich jetzt echt nicht gebrauchen. Weniger um Alkoholvergiftung besorgt, teilen die anderen zum Glück aber grundsätzlich die Meinung, dass eine ganze Flasche zu viel ist und wir beknien unseren Guide, sie möge bitte die Familie überzeugen die Flasche nicht zu öffnen. In letzter Sekunde kann sie zum Glück ein Öffnen der Flasche verhindern.
Leider können wir abgesehen von den paar Worten mongolisch, die wir inzwischen gelernt haben, nicht direkt mit der Familie sprechen sondern brauchen immer unseren Guide als Übersetzer. Was wiederum den Vorteil hat, dass Erico mit Sicherheit den einen oder anderen unbewussten Fauxpas ausbügeln kann, da sie in der Übersetzung die kulturellen Dinge berücksichtigt. Da wir Touristen sind, wird uns aber zum Glück einiges nachgesehen. Im Ger herrschen normalerweise sehr strikte Regeln, wer wo sitzt, wo man gehen darf, wo nicht und diverse andere Dinge, die von uns nun aber nicht verlangt werden. Die Familien bei den wir wohnen, sind den Umgang mit Touristen einigermaßen gewöhnt, allerdings handelt es sich nicht um ein Guesthouse oder ähnliches und es ist mehr eine freundliche Geste, dass wir dort übernachten können als deren Business, auch wenn wir dafür bezahlen. Entsprechend herrscht eine sehr private Atmosphäre. Am besten gefallen uns die Aufenthalte bei denen wir zwei Nächte bei der gleichen Familie sind. Man muss sich das so vorstellen, als würden bei einem zu Hause im Garten ab und zu wildfremde Leute aus aller Herren Länder zelten, die man in sein Wohnzimmer einlädt und bekocht und die zudem noch eine andere Sprache sprechen. Und wir sprechen hier nicht über Leute, die in einer Großstadt leben, sondern über Nomaden, die vollkommen abgeschieden leben. Es braucht verständlicherweise immer einen Moment bis wir mit den Familien so richtig warm geworden sind und die Familien mit uns. Wenn jedoch das Eis erstmal gebrochen ist, klappt es auch ganz wunderbar mit nonverbaler Kommunikation und wir haben eine Menge Spaß zusammen und wir werden Zeuge der großartigen mongolischen Gastfreundschaft.
Bei der gleichen Familie, an dem wir am Abend zuvor mit dem Wodka gekämpft haben, hält am nächsten Tag ein Pickup. Eigentlich war eine Wanderung zu einem See geplant. Als wir jedoch herausfinden, dass das ‚Gerümpel‘ auf dem Pickup ein neues Ger ist, welches aufgebaut werden soll, sind wir alle sofort Feuer und Flamme. Den Aufbau der Jurte mitzuerleben interessiert uns wirklich sehr und die Wanderung wird spontan auf später verschoben.
Die Nomaden ziehen in der Regel viermal im Jahr um - immer zu den entsprechenden Jahreszeiten. Im Winter benötigen sie ein geschütztes Quartier, um den harten Wintern trotzen zu können, währenddessen sie für die heißen Sommer ein offenes Terrain wählen. Sie bleiben dabei jedoch immer in den gleichen jeweiligen Quartieren und ziehen nicht quer durch’s Land. Wichtig finde ich dabei zu erwähnen, dass das Land auf dem die Nomaden leben, ihnen nicht gehört sondern Eigentum des Staates ist. Es würde ihnen das Land allerdings nie jemand streitig machen, weil bereits die Ururururahnen der jeweiligen Nomadenfamilien dort ihr Quartier hatten und das von allen anderen Familien respektiert wird. Das ist ein ganz wichtiger Teil der mongolischen Kultur und Traditionen. Es gibt nicht mal Zäune oder ähnliches. Oftmals wird nicht einmal die Tür der Jurte verschlossen. Ein riesengroßes Land voller grenzenloser Freiheit. Großartig! Das würde in Europa ganz sicher nicht funktionieren.
Was auf den Fotos aussieht als hätte jemand wahllos einen Haufen Sperrmüll verteilt, nimmt nach und nach Form an und am Ende steht tatsächlich eine neue Jurte auf dem Gelände. Normalerweise packt die ganze Familie mit an, da jetzt aber keine Eile besteht, ist es hauptsächlich der Großvater, der sich um den Aufbau kümmert. Eine Schar Enkelkinder und wir helfen ihm so gut wir können und es macht großen Spaß und alles funktioniert auch ohne Dolmetscher. Der Aufbau dauert normalerweise nur ca. eine Stunde, der Abbau sogar nur 30 Minuten. Im Vorwege konnte ich mir das kaum vorstellen, doch nachdem ich es selbst erlebt habe, war ich sehr beeindruckt. Im Winter kommen noch weitere Lagen um das Holzgerüst, um das Ger besser zu isolieren.
Da wir uns auf knapp 3000 m befinden, ist es auch jetzt im August abends recht kühl, so dass wir heizen müssen, um nicht zu frieren. Da es dort oben in den Bergen zu wenig Bäume gibt, um sie als Feuerholz zu benutzen, wird mit dem getrockneten s*** der Yaks geheizt. Leider haben wir vier keinerlei Erfahrung im Heizen mit s***, das so ganz anders verbrennt als Holz, so dass wir unser Ger erstmal mächtig einräuchern. Zum Glück mufft es nicht so schlimm, wie man befürchten könnte. Der Rauch selbst ist deutlich schlimmer, da wir außer der winzigen Tür nicht lüften können. Besonders die beiden Italiener sind sehr bemüht unseren Ofen wieder in Gang zu bekommen. Eigentlich hatte ich bereits versucht zu schlafen, aber die Diskussion der beiden mitanzuhören ist einfach zu lustig. Ich verstehe immer nur ‚la caca‘ und muss so heftig lachen, dass an Schlaf vorerst nicht mehr zu denken ist.
Das Leben der Nomaden ist hart und entbehrungsreich. Das habe ich ziemlich schnell verstanden und ist nicht mit unseren westlichen Vorstellungen zu vergleichen. Angefangen bei der medizinischen Versorgung, (das nächste Krankenhaus ist oft hundert Kilometer über Stock und Stein entfernt, weshalb die Nomaden auf Medizin aus der Natur schwören. Die Kräuter wachsen überall.), ein ‚Stadtbummel‘ häufig mit einer Tagesreise über unwegsames Gelände verbunden und von Luxusdingen wie fließendem Wasser oder unbegrenzt Strom wollen wir mal lieber gar nicht anfangen. Bei vielen Familien habe ich Solarzellen gesehen, mit dem ein Minimum an Strom gewonnen wird für Licht, wobei das oft auch über eine Autobatterie gespeist wird, und evt. einen Kühlschrank. In manchen Familien habe ich sogar einen Fernseher gesehen, eine Familie hatte eine Waschmaschine. Oft ist es aber nur eins dieser Luxusgüter anzutreffen und nicht wie bei uns alle Geräte. Je nach dem, wo man sich befindet, hat man vielleicht Glück und einen fließenden Bach oder Fluss in der Nähe. Selbst in den Orten/Städten außerhalb von Ulaanbataar sind die meisten Familien nicht an eine Wasserversorgung im eigenen Haus angeschlossen. Es gibt einen örtlichen Brunnen, zu dem man mit seinem Wasserkanister geht und dann gegen Zahlung einer geringen Gebühr Wasser erhält. Auch wir füllen hier hin und wieder unsere Wasservorräte auf. Zum Duschen können die Bewohner der Städte/Orte die ‚Public showers‘ der Stadt nutzen.
Ob die Nomaden glücklich sind, kann ich nicht beurteilen. Sie wirken auf jeden Fall zufriedener.
Seit einigen Tagen geht mir verstärkt der letzte Satz eines Videos durch den Kopf, das mir ein guter Freund vor kurzem geschickt hat. ‚Arm ist nicht wer wenig hat, sondern wer viel braucht!‘ Obwohl ich von Anfang an zugestimmt habe, wird mir so richtig erst hier in the middle of nowhere klar, was das bedeutet. Ich bewundere die Nomaden für ihr einfaches Leben.
Viel zu sehr an Zivilisation gewöhnt, tue ich mich besonders mit der Wassersituation schwer. Mit den ‚Toiletten‘ kann ich mich nach dem ersten Schrecken irgendwie arrangieren, auch wenn ich bei jedem Mal inständig hoffe, die Holzplanken mögen bitte halten. Meine größte Sorge ist, dass entweder ich komplett oder zumindest etwas von mir (Armband, Uhr, Handy, Stirnlampe etc) in die stinkende Grube fällt - ein Albtraum!!! Aber wenn man eben mal ‚muss‘, hat man eh keine Wahl. Zu Anfang hatte ich noch kurz das Einstellen von Essen und Trinken in Erwägung gezogen, aber bei 12 Tagen und dann bei dem Klima und unserem Programm war das einfach keine Option.
Während der 12 Tage haben wir nur einmal die Möglichkeit zu duschen. Als wir an Tag 7 unserer Tour in einem Tourist Gercamp (quasi wie Hotel) schlafen statt bei Familien, gibt es richtige Duschen und Toiletten und sogar richtig Gute. Beides schaue ich mir vor Benutzung erstmal genau an um auszuschließen, dass es sich um eine Fatamorgana handelt. Leider gibt es dort auch Spiegel, in den ich das erste Mal seit einer Woche wieder einen Blick werfe. Es ist schon erstaunlich, was eine simple Dusche für eine Veränderung hervorrufen kann. Auch mental fühle ich mich anschließend wie neugeboren. Wir haben einmal in einem eiskalten Fluss gebadet, in den ich normalerweise keinen Fuß gesetzt hätte, aber unter diesen Umständen hat das eiskalte Wasser angenehm erfrischt. Leider hat mich die starke Strömung meinen rechten Flipflop gekostet. Sehr unpraktisch. Normalerweise natürlich kein Problem, dauerte es nun ein paar Tage bis wir in eine größere Stadt gekommen sind und ich für Ersatz sorgen konnte. Der ‚Ersatz‘ ist nun rosa und passt trotz zwei Nummern zu groß nur bedingt. Etwas anderes war einfach nicht zu finden, aber lieber rosa Flipflops als gar keine Flipflops. Ein anderes Mal hat uns Mädels unser Guide beim Haare waschen am See geholfen. Das Ufer war voller Algen. Im Leben hätte ich mir das Wasser unter normalen Umständen nicht über meine Haare gekippt, aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Nach 5 Tagen ohne Haare waschen, war ich sehr froh und dankbar mir die Haare am See waschen zu können.
Den anderen geht es genauso wie mir, fühlen sich nach der Dusche erfrischt und wir haben mal wieder einen super lustigen Abend zusammen. Unser Fahrer war mal ein erfolgreicher Wrestler und wir brennen darauf endlich mehr darüber zu erfahren.
Am nächsten Morgen sind wir vier uns dann aber einig, dass es jetzt erstmal reicht mit der Zivilisation und schon holpert unser Van wieder über die unebenen Wege.
Wir sind inzwischen in der Wüste Gobi angekommen und ich stelle zum x-ten Mal in den letzten Monaten fest, wie vielen Irrtümern ich aufgesessen war, die ich durch meine Reise nach und nach ausräumen kann. Unter der Wüste Gobi hatte ich mir eine riesige Sandwüste mit Dünen vorgestellt. Damit hätte ich kaum weiter von der Wirklichkeit entfernt liegen können. Die Provinz Südgobi umfasst ein riesiges Gebiet mit ca der Hälfte der Fläche der BRD und ist alles andere als nur Sandwüste, wie ich sie erwartet hatte.
Die Sanddunes besteigen wir zum Sonnenuntergang, was ein wahnsinnig tolles Erlebnis ist, allerdings machen sie mit einer durchschnittlichen Ausdehnung von 180 km Länge und 20 km Breite nur einen kleinen Teil des Gobigebietes aus. Trotzdem sind die Sanddunes für mich ein echtes Highlight und der Sonnenuntergang hätte von mir aus noch Stunden dauern können. Nachdem es den ganzen Tag fast zu heiß war, um sich draußen in der Gluthitze ohne Schatten aufzuhalten, hätte ich erwartet, dass der Sand extrem heiß ist. Erstaunlicherweise ist der feine Sand sehr angenehm und ich kann mich gar nicht sattsehen an den Formationen und dem Farbenspiel der untergehenden Sonne.
Eigentlich sollte ich anschließend noch die Möglichkeit haben, auf einem der Kamele der Familie zu reiten, allerdings ist es wie ich schon vermutet hatte bereits zu dunkel und das Kamel längst wieder irgendwo am Grasen und Schlafen. Denn Zäune gibt es im Sommer nichtmal für die Tiere. Im Winter werden sie nur zum Schutz vor dem Wetter und den unwirtlichen Temperaturen eingezäunt. Alle Tiere laufen überall frei herum, d.h. auch auf der Straße. Erstaunlicherweise haben sie nicht mal Angst, wenn ein Auto kommt. Bis so eine Herde Ziegen und Schafe die Straße wieder freigibt kann ohnehin dauern aufgrund der Anzahl, aber auch ein einzelnes Yak kann schonmal recht stur die Straße blockieren. Es sieht Dir in die Augen und die Botschaft ist deutlich. ‚Dein Problem, wenn du jetzt hier lang willst. Jetzt stehe ich hier.‘ Die großen Tieren werden nicht markiert, lediglich Schafe und Ziegen bekommen eine Markierung um sie von den Nachbarherden zu unterscheiden. Die Familien kennen ihre Tiere und auch hier gilt, niemand würde ein fremdes Tier für sich beanspruchen. Abends kommen sie dann wieder zurück zu der Familie und schlafen ohne Umzäunung in der Nähe der Gers.
Ich ärgere mich ein bisschen über mich selbst, denn es gehört eigentlich zu den Must do’s in der Mongolei mal auf einem Kamel geritten zu sein, aber nachmittags war es einfach viel zu heiss. Immerhin hatte es bei der ersten Familie mit dem Reiten auf einem Pferd geklappt, einem weiteren Must do. Meine Reiterfahrung beschränkt sich auf absolute Basiskenntnisse. Trotzdem stellte ich es mir großartig vor, im Galopp über die Weiten der Mongolei zu preschen. Allesamt Anfänger und unerfahren durften wir natürlich nicht galoppieren. Für einen kurzen Moment wechselte mein Pferd auf dem Rückweg zum Ger dann aber doch in den Galopp um wieder aufzuschließen. Ich fühle den kühlen Wind in meinem Haar und die ausladenden Bewegungen meines Pferdes, die weite grüne Landschaft fliegt vorbei. Das ist Freiheit pur und ein absolut unbeschreibliches Gefühl!
Nach dem Reiten wurde ein traditionelles Barbecue von der Familie für uns vorbereitet. Dazu musste erstmal ein Schaf geschlachtet werden. Mit dem Motorrad wird es aus der Herde geholt und zum Ger gebracht. Ich hätte bereits am Morgen beim Schlachten eines weiteren Schafes zusehen können, aber 10 Minuten nach dem Aufwachen und noch vor dem Frühstück war das absolut indiskutabel. Am späten Nachmittag hoffe ich das mein Magen und ich den Anblick vertragen. Zum Glück muss ich das Schaf ja anschließend nicht essen. Als erstes wird der Bauch vorsichtig aufgeschlitzt, anschließend von innen die Hauptschlagader durchtrennt. Das Tier ist innerhalb von Sekunden tot und das ganze läuft deutlich unblutiger ab als ich erwartet habe. Für die Nomaden ist es ein ganz normaler Vorgang, der bei ihnen zum täglichen Leben gehört. Jeder hat seine Aufgabe. Nachdem dem Schaf das Fell abgezogen wurde, wird zwischen Innereien und Fleisch getrennt. Knack - ein Bein gebrochen, knack - das nächste. Es durchzuckt mich. Spätestens jetzt wäre ich Vegetarier geworden. Alles vom Schaf wird verwendet. Sogar die Augen und der Kopf werden mitgegessen. Der Magen wird gereinigt und getrocknet und dient später als Aufbewahrungsbehältnis für Milcherzeugnisse. Lediglich die Hufe werden entsorgt. Nachdem das Schaf zerlegt ist wandert ein Teil des Fleisches, das sich noch am Knochen befindet in eine Art Schnellkochtopf, wo es zusammen mit ein paar Kartoffeln und Karotten über offenem Feuer gegart wird. Zusätzlich werden heiße Steine, die bereits eine Weile im Feuer erhitzt wurden, direkt zu dem Essen hinzugegeben. Nach einer Stunde ist das Essen fertig. Gegessen wird mit den Händen, das Fleisch direkt vom Knochen genagt. Wer bei ‚Schaf’ an zart rosa gebratenes Lammfleisch denkt, hat weit gefehlt. Bei ‚Schaf‘ in der Mongolei handelt es sich um ein ausgewachsenes Tier und teilweise hat man mehr Fett als Fleisch auf dem Teller. Der Geschmack ist extrem intensiv. Das weiß ich, weil ich meist von unserem Guide der einfachheithalber das gleiche zu essen bekomme wie die anderen, nur das Erico versucht für mich ohne Fleisch auf den Teller zu schöpfen. Die Sauce und das Gemüse haben aber natürlich den Geschmack des Fleisches angenommen, da alles zusammen gekocht wird. Und so kommt es, dass selbst meine fleischliebenden Reisegefährten mit dem Schaf so ihre Probleme haben, besonders die Mädels können mit dem ganzen Fett nix anfangen. Zum Glück hat Erico genug Erfahrung als Guide und versteht Ihre Gäste auch ohne, dass wir allzu deutlich werden müssen. Irgendwie schafft sie es zum Lunch hauptsächlich Huhn, Rind und Schwein zu organisieren. Auch sonst ist sie immer sehr aufmerksam und wirklich sehr um uns bemüht. Ich bin froh, sie als Guide zu haben.
Ein sehr wichtiger Bestandteil in der Kultur der Mongolen ist der Respekt gegenüber den Älteren und wird schon den allerkleinsten beigebracht. Bereits kurz nach meiner Ankunft in der Mongolei, als ich im Bus vom Flughafen nach Ulaanbataar stand, habe ich dieses andere Verhalten wahrgenommen. Der Bus war zwar nicht übermäßig voll, aber ich habe mich doch dafür entschieden stehen zu bleiben. Mit meinem Gepäck fühlte ich mich dann flexibler, da ich nicht genau wusste, wann ich aussteigen musste und die Haltestellen nicht angezeigt werden, bzw. nicht in einer für mich lesbaren Sprache. (Die mongolische Sprache ist unglaublich schwer. Es gibt Laute, die würde ich vermutlich auch mit viel Übung nicht aussprechen können. Die Schriftzeichen erinnern mehr an russische Buchstaben) Mit mir im Bus saßen u.a. auch eine größere Anzahl Jungs im Alter von von vielleicht 8 bis 10 Jahren. Süße Jungs, ich hätte sie alle knuddeln können. Ich war überrascht, denn sie saßen total brav auf ihren Sitzen, haben weder gerangelt noch gelärmt oder sind sonst irgendwie aufgefallen. Sie haben mich aufmerksam betrachtet. Wahrscheinlich haben sie noch nicht so häufig Europäer und schon gar nicht mit großen Rucksäcken gesehen. Zwischen uns entwickelte sich nach und nach eine nonverbale Kommunikation und wir haben uns gegenseitig angelächelt. Schließlich kam einer der Jungs zu mir und da ich gerade in eine andere Richtung geschaut habe, tippte er mich vorsichtig an. Er wollte mir seinen Platz anbieten! Als die Jungs ausgestiegen sind, drehten sie sich nochmal zu mir um und haben gewunken. So eine Situation möchte ich gern mal in Deutschland erleben!
Leider wird es viel zu sehr versäumt den Kindern in der Mongolei nicht nur Respekt vor den Älteren beizubringen sondern auch vor ihrer wunderbaren Natur. So kommt es, dass die Straßenränder entlang der asphaltierten Straße quer durch’s Land mit Müll gespickt sind. Natürlich wird das von den Eltern falsch vorgelebt. Erico erzählt uns, dass das kein Müll von den Nomaden ist. Die würden ihren Müll niemals in der Natur entsorgen, schließlich leben sie auf dem Land und wissen wie wichtig die Erhaltung ist. Da die Nomaden hauptsächlich von ihren eigenen Erzeugnissen leben, dürften sie auch nicht besonders viel Müll produzieren. Der Müll kommt auch nicht von den ausländischen Touristen, sondern wohl von den einheimischen Touristen aus den Städten. Müll ist generell ein Problem, da es kein Recycling gibt. Es wird einfach alles verbrannt. Das ist besonders im Winter ein großes Problem, da dann das Verbrennen von Müll in den Gerdistricten (ärmere Vororte) rund um Ulaanbataar zum Heizen genutzt wird, weil die Bewohner nicht genügend Geld für andere Brennmaterialen haben. Der Smog kam mir selbst im Sommer fast schlimmer vor als in Peking. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es im Winter ist. Erico meint, die Luftverschmutzung ist dann enorm hoch und sehr ungesund. Immer mehr Nomaden gehen in die Städte, weil es durch die globale Erwärmung immer schwieriger wird. Die Sommer werden immer heißer und die Winter kälter. Wer nicht bereits im Sommer vorsorgt, kann im Winter auf einen Schlag seine ganze Herde verlieren, weil sie bei den eisigen Temperaturen erfriert oder nicht genug zu essen findet. Da viele Generationen von dieser Herde leben, ist das dann eine wirkliche Katastrophe für die ganze Familie.
Wir sind fast am Ende unserer Tour angekommen, als noch ein weiteres Naturhighlight auf uns wartet. The Canyon of Yol, auch ice valley genannt, da es fast das ganze Jahr über mit Schnee und Eis überdeckt ist. Durch die steilen schroffen Feldwände dringt nicht genügend Sonnenlicht, so dass das Eis nur im August wirklich schmilzt. Uns erwartet ein blühendes Tal, dass ich mitten in der Gobi Wüste nun wirklich nicht erwartet habe.
Weder Bilder noch ein Blogeintrag können wirklich das Gefühl wiederspiegeln, wie es ist, in einem Ger zu schlafen, während draußen vor dem Ger die Yaks unbeschreibliche Laute von sich geben, wie es ist, im Dunkeln mit der Stirnlampe auf dem Weg zum Toilettenhäuschen aus Versehen in hunderte Augenpaare der Schafe und Ziegen zu leuchten, den unendlichen Sternenhimmel mit haufenweise Sternschnuppen über der Wüste Gobi zu erleben, wie es ist, bei fremden Familien auf deren Bett zu Abend zu essen, weil es nicht genug Hocker zum Sitzen gibt, und das Ger eben alle Räume in einem beinhaltet, und wie viel Spaß man trotz unterschiedlicher Sprachen haben kann, wie der Geschmack von all den ungewohnten Sachen ist, die wir im Laufe der Tour probiert haben, wie es sich anfühlt, wenn man abends der Familie hilft und als menschliche Mauer einer Herde Yaks gegenüber steht und diese am Weiterlaufen hindern soll, wie es ist, quasi ganz allein in dieser endlosen Weite zu stehen, wie man sich fühlt, wenn man den ganzen Tag in einem russischen Van ohne Klimaanlage durchgeschüttelt wird und dazu traditionelle mongolische Musik in Dauerschleife hört oder was passiert, wenn nach einem übersehenen Schlagloch sich plötzlich die hinteren Flügeltüren öffnen und sich der hochgestapelte Inhalt des Kofferraums anfängt auf der Straße zu verteilen und auch all die anderen tollen und oft witzigen Momente können durch Erzählung höchstens einen Hauch dessen wiedergeben, wie es war. Das muss man einfach erlebt haben! Ich werde wiederkommen - ganz bestimmt!
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