Profile
Blog
Photos
Videos
Ich komme gerade vom späten Sonntagnachmittag-Lunch. Ich habe mir was gegönnt à Cesar Salad. Was man so erwartet ist natürlich ein toller KNACKIGER Salat mit OLIVEN, angebratenem SPECK, KNUSPRIGEN Croutons, ein TOLLES Dressing (nach welchem der Mund noch nach 2 Stunden riecht…). Bekommen habe ich latschigen Eisbergsalat, mit ein paar weichen Croutons und dünnen Orangenscheiben (WTF??????). Fehlt nur noch, dass ich ausgerechnet davon Verdauungsprobleme bekomme. Noch ist es nicht so weit, aber ich halte euch auf dem Laufenden.
Apropos riskieren von Verdauungsproblemen: Mein Wochenende habe ich immer noch nicht ganz verarbeitet, trotz der über 10 Stunden komatösem Schlaf heute Nacht… Ich habe vieles Erwartet, aber natürlich war dann trotzdem alles anders, als man damit gerechnet hat. Entsprechend war mein Gepäck x-mal grösser als das meiner drei Mitreisenden, entsprechend ihr schmunzeln über meine Erscheinung. Und ja, ich hatte vieles dabei, das ich nicht brauchen konnte…
Marwin hat mich zur K.R. Purma-Railwaystation bestellt, die habe ich mittels Metro und Threewheeler zu völlig überteuerten Touristenkonditionen erreicht. Der 17:30-Zug kam dann um 18:15. Er war bereits voll, allerdings war das Perron dann auch voll. Seit die Strecken elektrifiziert sind scheint es auch verboten, auf dem Dach zu reisen, entsprechend war das Chaos im Zug selber. Gerne würde ich euch Fotos von den viehtransportartigen Verhältnissen in Indischen „Holzklasse-Waggons" zeigen, allerdings hatte ich keine Chance meine Kamera auch nur annähernd aus der Hosentasche zu kramen. Das ist wirklich wahr, man hätte im Stehen schlafen können und es wäre unmöglich gewesen umzufallen. Natürlich war ich der einzige Weisse an Bord. Einer fragte mich über einen Dritten, der für ihn dolmetschte, ob ich mich mit weisser Farbe angemalt habe. Lieber wäre ich nicht so sehr aufgefallen, allerdings hätte ich nicht auf meine Grösse verzichten wollen: Die Atmung da oben war wenigstens nicht so sehr eingeschränkt…
Wohin die Reise genau ging, kann ich dir in Anbetracht meines völlig leeren Natelakkus nicht genau sagen. Unser Aufenthaltsort war irgendwo zwischen Bangalore und Chennai (ehem. Madras). Nach der Zugfahrt folgte irgendeine Busfahrt und danach eine Rikshaw-Fahrt ins Irgendwo. Das Soundsystem in der Rikshaw war ziemlich gut und die Töne die es ausspuckte regten zum mitwippen an. Dazu fehlte allerdings der Platz zumal wir inkl. Fahrer sieben Personen an Bord waren. Dieser Rekord sollte aber schon zwei Tage später gebrochen werden. Wir wurden herzlich willkommen geheissen. Marwins Freunde sind ein bunt zusammengewürfelter Haufen von 22 bis -ja das ist wahr- 60. Magendren ist mit seinen 60 aber ein ziemlicher Ausreisser…
Ein Weisser im Dorf war natürlich die Sensation schlecht hin. So besichtigte ich Häuser von zwei Brüdern. Sie weckten extra ihre Frauen, es war schliesslich schon ein Uhr morgens. Ohne Fotoshooting liessen sie mich natürlich auch nicht gehen. Ich muss die Bilder entwickeln lassen, damit sie sie einrahmen und an die Wand hängen können…
Vor Ort waren 100m der Strasse im Dorf hell beleuchtet mit Röhrenlampen und bunten Lichterketten. Ein eingemietetes, unermesslich stromfressendes Soundsystem beschallte das ganze Dorf mit tamilischer Folklore in unerträglicher Lautstärke bis um halb drei Morgens und verstummte nur bis 05:30 Uhr, um wieder das ganze Dorf zu wecken. Nicht dass ich auf dem nackten Boden hätte viel länger schlafen können. Es ist ja nicht so, dass der Morgen ein volles Programm gehabt hätte. Irgendwann fuhr man mit einigen Motorrädern (ein Motorrad fasst drei Personen…) ins nächst grössere Dorf, um Hühner zu kaufen und um zu frühstücken. Die Hühner wurden natürlich frisch geschlachtet und während der Rest von uns frühstücken ging musste einer aufpassen, dass der „Metzger" auch ja nichts falsch macht. An diesem Tag gab's nicht nur Huhn, sondern auch noch Schaf. Da ich an diesem Tag kein Fleisch ass, das ich zuvor nicht noch lebendig gesehen habe, musste auch dieses noch geschlachtet werden. Ich fasse mich kurz: Das arme Tier wurde der Göttin geopfert, welcher der neue Tempel huldigt. Ich habe Fotos davon, wer sie unbedingt sehen will, kann das schon, allerdings werde ich sie nicht aufs Netz stellen. Fotografiert habe ich das Ganze nur, weil ich die einzige Kamera im ganzen Dorf hatte und die Bilder für die Dorfbewohner entwickeln lasse… Das Schaffleisch selber war wirklich gut, kein stinken etc…
Ich muss vielleicht noch ganz kurz ausholen, welche Umstände mich genau an diesen Ort gebracht haben. Marwins Freunde waren in den Bau diesen Tempeln mit Manpower und finanzieller Unterstützung involviert. Man kann das ganze Projekt also als eine Art Entwicklungshilfe ansehen. Zur Feier des Tages wurde dem ganzen Dorf Chicken Biryani offeriert, was vielen Leuten ein ausserordentlich nobles Mittagessen und mir gute Fotos bescherte. Ich hätte nie gedacht, dass dieser gigantische Topf wirklich wegkommen würde…
Nach dem Verpflegen des ganzen Dorfes bekamen wir irgendeinen -illegalen, wie ich später erfahren sollte- Palm-Reis-Wein. Kann man mit Sake vergleichen, er wird einfach nicht gewärmt. Man bekommt diesen in einem per Knüppel geschlossenen Zellophan-Säckchen. Inder trinken schnell. Es geht nicht um das geniessen des Drinks, sondern nur um seine Wirkung danach. Und diese war bei einigen mächtig. Entsprechend wurde schon um zwei Uhr ausgelassen getanzt. Auch das gab tolle Fotos und noch bessere Videos…
Dieser Text droht langsam etwas gar lange zu werden, dafür möchte ich mich bei dir entschuldigen. Man kann all das auch ein wenig Verarbeitung des Geschehenen meinerseits sehen. Es gibt nämlich noch einen weiteren Aspekt, den ich beleuchten will: die enorm hohe Konzentration von Transsexuellen an diesen Festivitäten. Unser Host, zwar verheiraten, aber irgendwie seiner eigenen geschlechtlichen Orientierung nicht ganz sicher, ist so weit ich weiss mit diesen „Shemales" befreundet. Auf jeden Fall wurden es immer mehr davon. Unter anderem stellten diese auch die gesamte Tanztruppe für das Abendprogramm.
Das Abendprogramm sollte über drei Stunden dauern und meine Ausdauer auf Probe stellen. Interessant war es ja, aber sooooo lange… Auch waren einige Tanzeinlagen eindeutig zu weit gehend, als dass es die Kultur im Dorf erlauben würde. Kurze Kleidungsstücke und schütteln des (bei den Transsexuellen meist künstliche) Busen, gipfelten mit Küssen und rhythmischen Kopulations-Bewegungen. Hoffentlich hat das wenigstens ein wenig der sexuellen Aufklärung der Kinder, die zugesehen haben gedient.
Zweimal trat auch eine Person als die zu verehrende Göttin auf, worauf je eine Frau von dieser besessen wurde und völlig durchdrehte und nur mit ganz vielen helfenden Händen und Wasser wieder beruhigt werden konnte. Auch das eine wirklich neue Erfahrung!
Völlig KO verbrachte ich dann einige Stunden schlafend auf dem Boden. Nach einer groben Wäsche am Brunnen ging es dann wieder heimwärts. Dieses Mal war der Zug einiges Platzreicher; ich hatte einen Sitzplatz. Allerdings auf der oberen Etage. Für Schneidersitz war kein Platz und um die Beine auf die andere Seite zu strecken auch nicht wirklich. Kein Wunder also, dass ich nach all den Unbequemlichkeiten eine gröbere Verspannung im Rücken habe…
So, ich glaube, die wesentlichen Dinge sind gesagt. Ich hatte ein interessantes und billiges (ich durfte als spezieller Gast natürlich rein gar nichts bezahlen…) Wochenende. Auch bin ich froh, all das erlebt zu haben, auch wenn es sich immer noch ein wenig wie ein schlechter Traum anfühlt.
Um zum Ausgangspunkt dieses Textes zurück zu kommen: Wir hatten es ja von meiner Verdauung. Ich war kein einziges Mal für ein grösseres Geschäft hinter den Büschen; und das für zwei Tage. Trotz Frühstücken an einem Ort, den man nicht mal Kneipe nennen darf und saubere Hände hatte ich weiss Gott auch nicht immer. Wahrscheinlich hatte ich mehr Glück als Verstand. Mal sehen, was mich von diesem nicht-mal-so-tollen Cesar Salad erwartet.
- comments