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Valdivia
Hier beginnt langsam der Herbst. Ich sitze an einem schmalen weißen Holztisch und blicke auf den Fluss „calle calle", der ca. 10 Meter unter mir seichte Wellen wirft. Das Wasser zeigt keine eindeutige Richtung an, die Ströme drehen sich mit Ebbe und Flut und der Laune des Windes. Ein paar winzige Bötchen treiben vor dem Ufer, gefüllt mit Wasser, damit das Holz nicht austrocknet und brüchig wird. Zur Mittagszeit haben sich die großen Vögel zurück gezogen, nur mit Glück sieht man ab und an einen Seelöwen durch die Fluten gleiten. (oder ganz selten mal einen Delfin)
Die Wolken hängen tief über „Niebla" und Umgebung, heut´ wieder es sicher noch regnen.
Die Bilder, die man sich so im Kopf von einem noch unbekannten Ort malt, knüpfen doch ungewollter Weise immer wieder an bekannte Szenarien an. Ich war mir dessen gar nicht so bewusst, bis ich hier feststellte, dass meine Erwartungen doch ziemlich den in Ecuador erfahrenen Eindrücken ähnelten. Ich habe mir den Wohnort von Brunos Familie ganz anders vorgestellt: direkt am Meer liegend, in einer flachen, recht trockenen Landschaft, staubige Straßen, an denen die kleinen flachen Häuschen dicht an dicht erbaut wurden. So wie in Salango und den Nachbarörtchen eben.
Der Süden Chiles ist ganz anders. Die Landschaft ist unglaublich grün, ein großer Teil des Waldes ist unberührte Natur, sind große und kleine Bäume, Tannen und Laubpflanzen in wilder Mischung. Und mitten drin haufenweise Hortensien, deren Blütenfarbe sich nach den Mineralen in der Erde richtet. Viele der chilenischen Bäume tragen das ganze Jahr über Blätter, während vor allem die aus Europa eingeführten Bäume im Herbst ihr Laub verlieren. So vermutet Bruno zumindest. In den nächsten Monaten werde ich ja sehen, ob es stimmt.
Das Haus von Bruno Serrano und Heddy Navarro ist am Hang gebaut, wie fast alle Häuser hier steht es auf Stelzen und ist komplett aus Holz errichtet. Der wild gewachsene Garten reicht fast bis ans Ufer des Flusses und zeigt sich als Spielplatz (und Klo;)) der Katzen aus der Umgebung. Beim Essen und Kaffee schauen wir hier über den ca. 400m breiten Fluss hinweg auf die gegenüberliegende, dünn besiedelte Insel „ Isla del rey". Ein wenig weiter Flussabwärts vereint sich „calle calle" mit einem anderen großen Fluss, teilt sich erneut und umrundet weitere, kleinere Inseln. Niebla ist ein hübscher, sehr ruhiger Ort. Zu jedem kleinen, farbigen Häuschen gehört ein passables Grundstück, die meisten Straßen sind asphaltiert und auffällig sauber, man sieht, dass viele Menschen hier einen Lebensstandard pflegen, der den chilenischen Durchschnitt übersteigt. Niebla grenzt sowohl an den Fluss, wie an den Pazifik. Auch die Küste ist total grün, gesäumt von vielen vielen Bäumen und Sträuchern, einige der riesigen, mir bisher unbekannten Bäume, tragen noch im Herbst rote Blüten. (oh, jetzt schwimmt grad´ wieder ein Seelöwenpärchen Richtung Valdivia)
Folgt man der Schnellstraße Richtung Westen, gelangt man nach einigen Kilometern nach Valdivia.
Heute morgen war ich zum ersten Mal gemeinsam mit Bruno und seinen Eltern in der Stadt. Vor dem großen Erdbeben in den 60er Jahren war Valdivia eine der wichtigsten Städte Chiles, das politische und wirtschaftliche Zentrum des Südens. Mit der Zerstörung, die das Erdbeben mit sich brachte, sahen andere Städte im Süden Chile ihre wirtschaftlichen Chancen..
Heute hat Valdivia ca. 200.000 Einwohner und ist für mich bisher weder hässlich noch schön. Das spektakulärste waren bisher die dort im Hafen lebenden Seelöwenmännchen. Sie sind an den Menschen gewöhnt, kommen bis auf den Parkplatz, verteidigen sich lautstark vor distanzlosen Neugierigen und sind sogar schon auf dem Marktplatz gesichtet worden.
Es gäbe allerdings einige wirklich schöne Seiten der Stadt, verspricht mir Bruno. Die lerne ich dann beim nächsten Mal kennen.
Für die nächsten Monate haben wir schon alle möglichen Ideen und Pläne. Doch ich würde es auch nicht tragisch finden, die meiste Zeit schreibend, malend oder lesend in Brunos Zimmer zu verbringen. Mit dem Holzofen im Haus und dem gleichmäßigen Plätschern des Wassers aufs Blechdach, find´ ich den Herbst bisher sehr gemütlich. Durch Brunos Fensterfront haben wir aus dem ersten Stock schon nach dem Aufwachen einen perfekten Blick auf den Fluss .. ein beruhigender, irgendwie inspirierender Anblick, finde ich. Im Winter gibt es hier heftige Stürme und Gewitter. Vor vielen Jahren hat mal ein kleiner Hurrikan einen Teil der Esszimmerglasfront zersplittert. (es ist zum Glück Niemandem etwas passiert) Aber bis auf diesen Zwischenfall, steht das kleine, ein wenig chaotische und mit eigenen Händen zusammengeschusterte Haus schon seit fast 15 Jahren sicher und unversehrt.
Brunos Familie ist einfach wahnsinnig kreativ. Im Wohnzimmer schmücken eine Mischung der Kunstwerke Aller die Wände. Heddy (Brunos Mutter) schreibt Poesie und zeichnet (interessant und schön), Bruno (sein Vater) schreibt ebenso und malt, erstellt große Collagenartige Gemälde und Kunstwerke mit den verschiedensten Materialien und Inhalten. (sehen gut aus!) Seine Schwester Tania, die mit ihren 3 Kindern direkt im Häuschen nebenan lebt, schreibt und malt ebenso, ihr 16-jähriger Sohn Benjamin erstellt schon seit vielen Jahren kleine Skulpturen, zeichnet und schreibt... Auch von Bruno hängen hier zahlreiche Bilder an den Wänden. Ich werde auch kreativer werden!:) Habe schon in Deutschland viele Ideen gehabt, die ich hier - wenn ich die Zeit finde - umzusetzen versuche.
Heddy und Bruno sind sehr entspannte und unkomplizierte Menschen. Ich glaube, sie können mich wirklich gut leiden, haben mich als Schwiegertochter akzeptiert und nehmen mich mit großer Herzlichkeit in die Familie auf. Es scheint, als kämen die beiden nie zur Ruhe. Und wollten das auch gar nicht. Ständig gibt es neue Macken am Haus, die bearbeitet werden müssen. Und wenn alles sauber und geregelt ist, überlegen die beiden, welche Möbel man wie umstellen könnte, um alles noch schöner zu gestalten. Die beiden betrieben während der Zeit der Diktatur ein Literatur-Café hier in Valdivia. Momentan sitzen sie an den Plänen, das Café für einen Abend auf einem Schiff wieder aufleben zu lassen. Musik, Poesie und Wein auf dem Fluss... Eine schöne Idee, finde ich.
Zur Hausgemeinschaft gehören auch einige Tiere. Die hübsche, ein wenig depressive Hündin Peta , der unfassbar fordernde und verschmuste Kater Malcu und eine andere kleine Katzendame, die Tanias Familie grade 6-köpfigen Nachwuchs geschenkt hat. (Malcu ist wirklich ein Unikat. Direkt am ersten Abend ist er Bruno vom Boden aus regelrecht in die Arme gesprungen, obwohl er ihn auch noch nicht kannte. Sowas hab ich echt noch nie gesehen ;)
Bruno gerät hier langsam in den sozialen „Druck", sich all seinen Freunden wieder zu zeigen. Ich komm bei all den neuen Namen gar nicht hinterher. Dadurch, dass er einen Großteil seines Lebens in dieser kleinen Stadt verbracht hat, kennt er wirklich unfassbar viele Leute. Manchmal frage ich mich, wie er es schafft, so viele gute Freunde zu haben. Allein zeitlich. Das ist mir irgendwie ein Rätsel.
Es war und bleibt spannend, ihn in „seinem Reich" aus einer neuen Perspektive kennen zu lernen. Hier scheint er mir viel selbstbewusster, gelöster, fast körperlich größer. Bisher kommen wir auch erstaunlich gut miteinander aus, beinah 24 Stunden am Tag und das ja schon eine Weile.
… Ihr fragt Euch sicherlich, was jetzt genau meine Pläne für die nächsten Monate sind. Wie schon angedeutet, es gibt viele Ideen, es zeigen sich grade viele Kontakte, viele Möglichkeiten für interessante Praktika und auch Projekte, die ich u.a. mit der Kamera unterstützen und bereichern könnte. Aber davon erzähle ich mehr, wenn sich meine Wegen in genauere Bahnen lenken und sich die Pläne verfestigen. Klar ist aber auf jeden Fall, dass Heddy und ich bald meine Homepage fertig stellen werden. Darauf freue ich mich schon:)
Ich freue mich immer, von Euch zu hören. Bruno hat grad schon eine Mail von Roni entdeckt, die versehentlich in seinem Spam-Ordner landete. ;) Lieber an [email protected]. Oder hier.. :)
Alles Liebe und bis bald,
Katharina
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