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Heute treibt mich der strahlende Sonnenschein früh aus dem Bett und hinaus auf die Straße, wo das Stadtleben schon in vollem Gange ist. Zusammen mit Sigrid, meiner Mitbewohnerin aus Norwegen, mache ich mich auf den Weg zum ehemaligen Yonghe Kaiser Palast, der später zu einem Mönchskloster für Lamas wurde. Er ist der wichtigste buddhistische Tempel tibetischer Kultur außerhalb von Tibet selbst. Wir treten durch einen der typischen reichlich verzierten Schmuckbögen in das Reich des Buddhismus, bedacht von gelben Blättern, die von Bäumen auf uns herab flattern. Die Architektur der schwungvollen Dächer der fünf aufeinanderfolgenden Haupthallen wacht über die Stille, die zwischen den Gläubigen herrscht. Vor den Toren der mächtigen Hallen entzünden sie Räucherstäbe und fallen auf die Knie, der Rauch scheint die geflüsterten Gebete zu verschlucken. In der ersten schattigen Halle lacht ein dicker Buddha über die Nichtigkeiten des irdischen Lebens, zu seinen Füßen breiten sich Kerzen, Früchte und Statuen aus, wie auch weitere kniende Buddhisten. Der gesamte Raum ist ein einziges Kunstwerk mit außerordentlicher Liebe zum Detail, jeder Millimeter der Decke ist mit farbreichen Mustern geschmückt, die Wände mit prunkvollen Bildern behangen. Es folgt ein Innenhof mit einem drachenbestückten Weihrauchgefäß, zu dessen Füßen unzählige Münzen funkeln, die als Glücksbringer dort gelandet sind. Meine ungeschickt geworfene Cent-Münze rollt daran vorbei und landet vor den Füßen eines alten Chinesen, der verwundert das seltsame Geld mustert. Ich schenke ihm noch eine Münze, und er gibt mir im Tausch einen Yuan, der dann schließlich seinen Weg zu den anderen Geldstücken findet, also wird es wohl ein Glückstag für mich sein.
Die Sonnenstrahlen zwängen sich durch die Äste der kleinen Nadelbäume, die den Hof schmücken, bunte Fliesen reflektieren das Licht, das Rauchgeschwader erfüllt die Luft. In den folgenden Hallen werden die Decken höher, der Schmuck prachtvoller, und die Statuen höher. Die Lehrhalle beherbergt eine Figur des Reformators des tibetischen Buddhismus und Gründer der Gelben Kirche, die den Dalai Lama hervorbrachte. Ein Mönch rückt kleine Figuren auf dem Altar zurecht, winzig wirkend im Schatten der sechs Meter hohen Statue. Auf einem gelben mit Samt bestickten Thron saß der derzeitige 14. Dalai Lama während seines Besuchs in Beijing, um Sutras zu predigen. Über die sonnigen, blätterbunten, verrauchten Innenhöfe und durch weitere Gebetshallen hindurch gelangen wir zur letzten, die uns winzig aussehen lässt: eine achtzehn Meter hohe Buddha-Statue, die aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt ist, thront bis unter die Decke. Ehrfürchtig blicken wir hinauf zu diesem mächtigen Symbol des Glaubens, das seine Besucher an die kleine Natur der Erdbewohner erinnert. Auch wir werden durch unseren Hunger daran erinnert, dass wir doch nur menschlich sind und er treibt uns weg von der andächtigen Stille und Prunk in gold zurück auf die quirlige Straße, wo es nun erst einmal Reis zum Mittag gibt.
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